Mo., 10.12.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Marokko: Die Frauen und das Arganöl
Morgens muss bei Mina Akerkouche alles schnell gehen. Den Teig fürs Brot vorbereiten, Tee kochen - was halt zu Hause so anfällt, bevor man zur Arbeit geht. Die Töchter wissen das und helfen, wo sie können. Denn seit Mina Geld verdient, geht es der ganzen Familie besser. Minas Mann, Hassan, arbeitet als Tagelöhner auf dem Bau. Sein Einkommen reicht nur für das Allernötigste. Dass beide Töchter trotzdem auf die höhere Schule gehen können, verdanken sie Mina. Bücher, Schulbus – all das kann die Familie von ihrem Geld bezahlen, seit sie in einer Arganöl-Kooperative arbeitet. "Bevor ich in der Kooperative angefangen habe, habe ich auch schon Arganöl gemacht. Alleine und auf eigene Rechnung, immer so ein bisschen neben der Hausarbeit. Aber da kam nie so viel zusammen, dass es fürs ganze Jahr gereicht hätte", erzählt Mina Akerkouche.
"Jetzt kann ich mir ein bisschen was leisten"
Die Berber im Süden Marokkos nutzen schon seit Jahrhunderten das Öl der Arganmandeln – für die Haut, für die Haare und zum Kochen. Die Ernte der Früchte und die Herstellung des Öls ist traditionell Frauenarbeit – und Knochenarbeit. Um die mühselige Produktion und den Verkauf besser organisieren zu können, haben die Frauen die Kooperativen gegründet. Ein paar Hundert gibt es mittlerweile – so wie die von Mina. Fast jeden Morgen macht sie sich auf den Weg ins Dorf, zu ihren Nachbarinnen und Freundinnen. Die gemeinsame Arbeit, da sind sich alle einig, ist ihr tägliches Highlight: "Wir verstehen uns hervorragend – Allah sei Dank. Die Stimmung ist immer gut. Und wenn ich mal nicht hierherkommen kann, merke ich richtig, dass mir etwas fehlt. Jetzt kann ich mir ein bisschen was leisten. Mal was für die Kinder oder was fürs Haus, oder für mich was Schönes zum Anziehen. Das ist besser als früher."
Raus aus der häuslichen Enge
Hier können die Frauen die häusliche Enge hinter sich lassen – wenigstens für ein paar Stunden am Tag. Aber das war nicht immer selbstverständlich. Als die Kooperativen gegründet wurden, waren viele Männer erstmal dagegen, dass ihre Frauen außerhalb des Hauses arbeiten. Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt – die Frauen müssen allerdings unter sich bleiben. Kontakt mit anderen Männern bei der Arbeit wäre für die meisten Ehemänner inakzeptabel. "Meiner wollte erst nicht, dass ich hierherkomme. Aber als er gesehen hat, dass die anderen alle gehen, hat er gesagt: Okay, dann Du halt auch. Ich habe meinem gesagt: Ich heirate Dich nur, wenn ich in der Kooperative bleiben darf. Da ging es dann."
Aufforstung gegen Vormarsch der Wüste
Der Erfolg des Arganöls hilft nicht nur den Berberfrauen – er hilft auch den Bäumen. Der Wert des Arganbaums war den Menschen in der Region lange nicht bewusst. Er wurde zu Brennholz verarbeitet, und bis heute lassen Hirten ihre Kamele oder Ziegen in den Wäldern weiden. Das wird – noch - stillschweigend geduldet, den Bäumen schadet es aber. Immerhin: Seit ein paar Jahren wird systematisch wieder aufgeforstet. Die Behörden investieren viel Geld in Baumschulen wie diese, denn mit ihren langen Wurzeln schützt die Arganie den Boden vor Erosion – und sie hält den Vormarsch der Wüste aus dem Süden auf.
Kunden-Anfragen aus der ganzen Welt
Die Umsätze, die sich mit dem Öl machen lassen, haben dem ganzen Süden Marokkos einen Schub gegeben. Mittlerweile kommen Anfragen von Kunden aus der ganzen Welt. Viele Kooperativen haben sich Maschinen angeschafft, um den Frauen die Arbeit zu erleichtern und die steigende Nachfrage zu decken. Für den Verkauf sind sie aber immer noch auf internationale Konzerne und auf Zwischenhändler angewiesen. Dass der Gewinn fast komplett dort hängenbleibt, ärgert die Frauen: "Wir müssen dafür sorgen, dass wir einen vernünftigen Preis für das Arganöl bekommen. Wenigstens ein Teil dieses enormen Profits muss bei uns Frauen verbleiben. Das ist unser Ziel", sagt Khadija Saye, Präsidentin von GIE Ethical Women.
Marokko will mehr von Argan-Produkten profitieren
Dass Marokko mehr von dem wertvollen Rohstoff profitieren könnte, findet auch Zoubida Charrouf. Sie ist Chemikerin an der Universität Rabat und untersucht seit 30 Jahren die Zusammensetzung des Arganöls. Die Kombination von Vitaminen, ungesättigten Fettsäuren und Antioxidantien ist wirklich einzigartig, sagt sie. Aber an den medizinischen Hautölen und den Anti-Falten-Cremes verdienten jetzt vor allem europäische Unternehmen. "Wir glauben, dass dieses Öl allen Marokkanern gehört. Deswegen haben wir auch nie Patente angemeldet. Das ist schade, weil jetzt andere Leute von unseren Erkenntnissen profitieren und sich die Rechte an mehr als 100 Argan-Produkten gesichert haben, ohne dass der Bevölkerung das Geringste zurückgegeben wird", sagt Zoubida Charrouf.
Noch in diesem Jahr will die marokkanische Regierung ein Gesetz durchs Parlament bringen, das das ändern soll. Internationale Unternehmen müssten dann einen festen Prozentsatz ihres Gewinns abgeben. Er könnte in die Forschung investiert werden, in die Aufforstung, oder in die Frauen-Kooperativen.
Ein besseres Leben für die Kinder
Die Berberfamilien im Süden bekommen davon nicht viel mit. Aber so viel weiß Mina: Wenn ihre Kooperative mehr einnimmt, dann verdient auch sie besser. Fadma, ihre ältere Tochter, will Anwältin werden. Rashida, die jüngere, Polizistin. Mina hofft, dass sie irgendwann auch das finanzieren kann: "Das wäre der größte Erfolg in meinem Leben, wenn meine Töchter das mit meiner Hilfe schaffen. Zu sehen, wie sie unabhängig werden. Das ist mein Traum."
Reich sind wir nicht, sagt Mina – aber wir kommen besser klar als früher. Das zumindest hat das Arganöl schon jetzt bewirkt: Es hat die Berberfrauen stärker gemacht. Und sie trauen sich, zu träumen – von einem besseren Leben für sich und ihre Familien.
Autorin: Natalia Bachmayer, ARD Studio Madrid
Stand: 11.09.2019 16:25 Uhr
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