So., 12.12.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Niederlande: Vorbild bei der Cannabis-Legalisierung?
"Nein", sagt Lesley Bijlsma, Coffeeshop-Betreiber in Amsterdam. Aus seiner Sicht ist das niederländische Prinzip des Tolerierens: "Verrückt!" Denn während der Verkauf geduldet wird, stehen Anbau und Verarbeitung weiterhin unter Strafe. Das zwingt viele Händler in die rechtliche Grauzone – oder sogar in die Illegalität. Und so schafft die Drogenpolitik unseres Nachbarstaats ein Einfallstor für Drogenkartelle. Daraus sollte Deutschland lernen, wenn die neue Ampel-Regierung Cannabis legalisieren möchte.
Widersprüchliche Drogenpolitik in den Niederlanden
Holländischer Gouda auf der einen und der Coffeeshop auf der anderen Seite: in den Gassen der Amsterdamer Bahnhofsgegend liegen die Klischees direkt beieinander. Der Duft von Joints wabert unverkennbar und genau deshalb kommen sie ins "Prix d’Amie", den größten Coffeeshop des Landes. Hier gibt es alles was das Kifferherz begehrt. Schwarzes Haschisch aus Marokko, Cannabis aus den USA – Geschmack "Tropical Storm" oder "Jungle Banana Punch". Bei weichen Drogen gelten die Niederlande als liberal und tolerant. Vor allem aber sind sie: widersprüchlich. "Das ist seit 50 Jahren so: man nennt es Tolerieren", sagt, Coffeeshop-Betreiber Lesley Bijlsma. "Obwohl es illegal ist, darf man es verkaufen. Aber man darf es nicht einkaufen. Verrückt." Der Verkauf wird also toleriert – die Herstellung, das Züchten und der Anbau von Cannabis aber ist streng verboten.
Der Tourist aus Großbritannien zeigt seiner Freundin und uns wie man einen Joint dreht. Bis zu fünf Gramm darf ein Konsument einmal am Tag kaufen. "Here we go … meine deutschen Freunde" Der Coffeeshop selbst darf nur 500 Gramm vorhalten. Er braucht also ständig Nachschub. Betreiber wie Lesley Bijlsma müssen ständig in einer Grauzone hin zur Illegalität arbeiten. "Da hängt viel Logistik dran. Es gibt eine Welt, in der Menschen ständig hin und herlaufen zwischen Coffeeshops, Depots und irgendwelchen Büros. Manche Sachen passieren illegal. Abrechnungen sind oft illegal. Man muss die besten Produkte bekommen. Und manchmal muss auch geschmuggelt werden. Aus dem Ausland kommen manchmal schöne Sachen in die Niederlande. Und das ist alles illegal." Daran wage sich die niederländische Regierung nicht wirklich heran, kritisiert er. So würden 10.000 Menschen in einer rechtlichen Grauzone arbeiten und zwei Milliarden Euro Umsatz würden nicht versteuert. Es wäre besser alles zu legalisieren, meint Lesley deshalb. "Die Niederlande waren eigentlich immer fortschrittlich und Vorreiter was weiche Drogen angeht. Aber jetzt ist daraus auch eine Art Kultur bei harten Drogen entstanden."
Mit dem Drogenhandel wächst die Gewalt
Amsterdam im Rotlichtbezirk – hier bekommt man alle Drogen, und zwar nicht nur für einen vergleichsweise harmlosen Joint. Die Niederlande sind mittlerweile europäischer Hauptumschlagplatz für Kokain, das vor allem über die Häfen Rotterdam und Antwerpen in Containern ins Land kommt. Experten schätzen, es könnten 1.000 Tonnen im Jahr sein, von denen nur ein kleiner Teil gefunden und beschlagnahmt wird. Viele hundert Milliarden Euro werden so verdient und mit dieser Menge Geld eskaliert seit Jahren die Gewalt. Zuletzt im Sommer: Der landesweit bekannte Kriminalreporter Peter R. de Vries berichtete häufig über die Drogenmafia und war zuletzt Betreuer eines Kronzeugen im größten Mafiaprozess des Landes, der unter Hochsicherheitsbedingungen stattfindet. Im Juli verlässt de Vries nach einem TV-Interview das Fernsehstudio mitten in Amsterdam. Dann fallen fünf Schüsse. De Vries wird niedergeschossen und stirbt neun Tage später. Die Niederlande im Schock – dabei war es nicht der erste Mord.
Für viele Experten auch ein Ergebnis der niederländischen Drogenpolitik. Die Kriminologin Shannah Mehlbaum meint, es habe lange überhaupt keine Politik in Sachen Drogen gegeben. "Wir hatten eine Situation in den siebziger Jahren, da haben wir aus pragmatischen Gründen gesagt, das lassen wir so, auch wenn da Probleme aufkamen. Denn es gab illegale Einkünfte und das Geld wurde gewaschen. Und danach gab es im Land keine einheitliche Politik bei anderen Formen der Drogenproblematik. Wir haben gedacht es ist nicht so schlimm hier und wir haben uns für tolerant gehalten." Auch Lesley in seinem Coffeeshop in Amsterdam wundert sich über sein Land. Er glaubt aber: In Deutschland werde man es sicher schlauer machen, wenn dort weiche Drogen freigegeben würden. Für ihn allerdings hätte das auch Nachteile: "Die deutschen können das gut anpacken, wenn sie es richtig machen, aber mir geht dann der deutsche Umsatz verloren"
Autor: Michael Grytz, ARD-Studio Brüssel
Der Weltspiegel Podcast: "Legalize it – das weltweite Geschäft mit Cannabis" in der ARD-Audiothek und überall da, wo es Podcasts gibt.
Stand: 13.12.2021 11:28 Uhr
Kommentare