So., 15.09.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Nigeria: Schule für ein besseres Leben
Man nennt es auch das Venedig von Nigeria. In Makoko, einem Stadtteil von Lagos, gibt es kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Toiletten. Niemand räumt den Müll weg. Die meisten die hier geboren werden, kommen aus dem Viertel nie heraus. Und mittendrin ein Ort der Hoffnung – die Whanyinna Grundschule. Whanyinna heißt übrigens Liebe. 200 Kinder dürfen hier, dank einer Stiftung, von einer Zukunft träumen. Und das gerade weil sie arm sind. Denn nur Kinder, deren Eltern besonders mittellos sind, oder Kinder von Alleinerziehenden werden hier aufgenommen. Mary Rasaq ist Aushilfslehrerin. Sie unterrichtet Fächer, wie "häusliche Gewalt" und "Bevölkerungswachstum". Heute das Thema "Sicherheit im Viertel". Wie schütze ich mich vor Dieben? Und vor allem hat die Lehrerin einen Wunsch für die Kinder: "Sie sollen sich hier entwickeln können, mit der richtigen Haltung ins Leben gehen. Vielleicht werden sie sogar Lehrer oder Gouverneure Leute, die unser Land führen werden – das zumindest hoffe ich. Sie werden unser Land oder ihre Gemeinde auf ein ganz neues Level bringen."
Chancen auf ein besseres Leben
Seit der Gründung der Schule vor zwölf Jahren haben über 250 Kinder später eine höhere Schulen besucht. Der erste ehemalige Schüler hat es sogar schon an die Universität geschafft. Die 12-jährige Mary ist noch etwas schüchtern, hat aber einen großes Ziel: "Ich will mal Modedesignerin werden." Die meisten anderen Mädchen im Viertel sehen die Schule nur von außen. Ohne das Geld, was sie mit den kleinen fahrenden Geschäften verdienen, kämen ihre Familien nicht über die Runden. Entstanden ist Makoko, als immer mehr Fischer aus den Nachbarländern Togo und Benin in die Küstenstadt Lagos kamen, um hier ihr Glück zu suchen. Als auf dem Festland kein Platz mehr war, bauten sie auf dem Wasser weiter. Inzwischen ist der illegale Slum über Generationen gewachsen und multikulturell. Viele sprechen statt der Landessprache Englisch nur Französisch oder lokale Sprachen durcheinander. Die Lehrerin Yodounon Funmilayo ist sehr geduldig mit ihren Schülern. Sie weiß genau, was sie brauchen. Keines der Kinder soll abgehängt werden, sagt sie: "Die größte Herausforderung ist: Die meisten Kinder können zwar schreiben, aber sie verstehen kein Englisch und können es nicht sprechen, so wie wir."
Der Schulhof ist der einzige Spielplatz in diesem Viertel. Das nutzen die Kinder gern, bis die Boote sie nach Hause bringen. Auf den Kanälen ist Mittags Rushhour. Eine kleine abgeschlossene Welt, in der es kaum das Nötigste gibt. Lehrerin Mary will den Kindern eine buntere Welt zeigen: "Wir bringen sie auch raus aus dem Viertel. Wir bringen sie zur Bank, zeigen ihnen Autos oder bringen sie zum Supermarkt. So etwas kennen sie ja hier nicht. Wir bringen sie zu schönen Orten – sie sollen nicht an diesem Ort fest sitzen." Ihre Kollegin Yodounon Funmilayo lebt in Makoko, bald bekommt sie ihr viertes Kind. In der kleinen Pfahlhütte leben sie mit ihrem Mann und der Schwiegervater. Beide haben keine Schulbildung. "Ich möchte meinen Kindern eine strahlende Zukunft aufbauen, mit der Gnade Gottes. Ich arbeite hart um sie hier heraus zu bekommen, raus aufs Festland. Sie sollen wissen, dass das Leben auch schön sein kann. Es gibt auch schöne Orte in Nigeria", sagt die Lehrerin.
In das Bild der modernen Megacity passe der Slum gar nicht, sagen die Behörden. Investoren wollen hier eine Art afrikanisches Manhatten schaffen. Immer mehr Hochhäusern werden gebaut. Der Kontrast zwischen arm und reich könnte größer kaum sein. In Makoko sollen mehr als 500.000 Menschen leben. Etliche Versuche der Regierung den Slum zu räumen sind fehlgeschlagen. Die Bewohner haben sich bislang erfolgreich dagegen gewehrt. Wo sollten sie auch anders hin? Lehrerin Mary Rasaq ist ledig, hat ganz bewusst keine Kinder. Die 29-Jährige wohnt zwar immerhin schon auf dem Festland, doch auch dieser Teil gehört zum Slum Makoko. Sie lebt mit ihrer Mutter und dem Bruder zusammen. Sie will es unbedingt schaffen. Neben ihrem Job als Lehrerin, bei dem sie wenig verdient, verkauft sie Abends Eier und Nudeln. Sie hat große Pläne: "Ich studiere Massenkommunikation. Ich möchte einmal eine Fernsehstation aufmachen. Ich will eine bessere Person sein. Egal, was dein Hintergrund ist, egal, ob du arm oder reich bist. Entscheide dich, etwas zu bewegen. Ich habe beschlossen etwas zu bewegen." Hier lebt man in Dunkelheit, niemand sieht das Licht in dir, sagt sie uns noch. Daran will sie ganz bestimmt etwas ändern.
Autorin: Caroline Imlau / ARD Nairobi
Stand: 15.09.2024 20:52 Uhr
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