So., 31.03.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Peru: Lebensader Amazonas
Die Idee ist eigentlich gut: Um keinen Regenwald für den Bau von neuen Straßen abzuholzen, will die peruanische Regierung mithilfe internationaler Investoren vorhandene Wasserstraßen ausbauen, um den abgelegenen Nordosten des Landes besser zu erschließen. In einem gigantischen Infrastruktur-Projekt, über das politisch noch nicht endgültig entschieden ist, sollen die Quellflüsse des Amazonas auf hunderten Kilometern tiefer ausgebaggert werden, um sie für größere Containerschiffe ganzjährig befahrbar zu machen. Entstehen soll ein neuer Handelskorridor zwischen Peru und Brasilien, Atlantik und Pazifik. Kritik kommt vor allem von der indigenen Bevölkerung. Manche Peruaner freuen sich aber auch über die Pläne. Simon Riesche war für uns in der schwer zugänglichen Amazonas-Region unterwegs.
Hoch konzentriert und Blick nach vorn. Seit mehr als 25 Jahren befahren Kapitän Cein Perez und sein Steuermann den Amazonas in Peru. Ohne Erfahrung kommt man hier im flachen Wasser nicht weit. "Man muss sich auskennen und man muss aufpassen", erklärt Steuermann Walter Salazar, "wegen der Sandbänke, die sich bilden. Die sind gefährlich. Du stößt an, das Schiff kann umkippen, kann alles passieren."
Die Eduardo 3 ist ein altes Frachtschiff, das aber auch Passagiere mitnimmt. Mehrere Tage dauert die Fahrt von der Stadt Yurimaguas in die Urwald-Metropole Iquitos. Für die Dörfer am Wegesrand ist der Fluss Lebensader. Straßen und Autos gibt es hier nicht. Alles, was transportiert werden muss, muss aufs Schiff. Und an Bord hoffen die Reisenden, dieses Mal nicht schon wieder stecken zu bleiben. "Einmal kamen wir drei Tage lang nicht vom Fleck", erzählt Susana Yayi. "Hier auf dem Boot mussten wir warten, bis wieder genug Fahrwasser da war."
Ökosystem Amazonas in Gefahr
Die peruanische Regierung will das jetzt ändern. Eine ganzjährige Nutzung richtig großer Containerschiffe soll hier bald möglich sein. Das zumindest verspricht die offizielle Videoanimation. Eine Hidrovia also – eine Wasserschnellstraße. Drei Amazonas-Zuflüsse sollen ausgebaggert werden. Und so deutliche tiefere Fahrrinnen entstehen – alle durchgängig mindestens 56 Meter breit. Schon nächstes Jahr könnte eine chinesische Baufirma mit der Arbeit beginnen. Anfangs-Investitionen von knapp 100 Millionen Dollar. Dazu: kaum planbare Kosten für Instandhaltung und Hafenausbau – auf insgesamt fast 3.000 Flusskilometern.
Das großflächige Ausbaggern aber könnte für das Ökosystem des Amazonas fatale Folgen haben, sagen unabhängige Wissenschaftler. Überschwemmungen, Erosionen. Die Dynamik der Flüsse sei in den Studien der Regierung nicht ausreichend berücksichtigt worden. "Wir haben hier so viele verschiedene Ströme, kleine, große, einer transportiert mehr Schlamm, mehr Ablagerungen als der andere, einer ist mehr, ein anderer weniger dynamisch", sagt Umweltingenieur Jorge Abad. "Wir haben das alles hier am Amazonas aber noch nie genau erforscht. Wir wissen einfach zu wenig."
Desinformation der Regierung?
Zwischenhalt im Städtchen Nauta. Die lokale Wirtschaft werde von der Hidrovia profitieren verspricht die Regierung. Viele hier glauben ihr nicht. "Ja klar, sie sagen uns, wie gut alles werden wird" meint der Aktivist Pedro Pinedo. "Die dicken Schiffe aus dem Ausland, die hier fahren werden, würden unsere Produkte kaufen, sagt die Regierung. Aber das wird nicht so kommen. Hier wird niemand anhalten, um unseren Fisch zu kaufen. Das ist alles Desinformation." Pedro ist Filmemacher und gehört zu einer Gruppe von Aktivisten, die sich gegen die geplante Wasserschnellstraße einsetzen. Sie drehen Info-Videos oder machen Rap-Musik über ihre Liebe zum Amazonas.
Viele von denen, die sich hier treffen, sind Indigene, Nachfahren der Ureinwohner vom Volk der Kukama. Sie warnen vor dem Ausbaggern und der Begradigung der Flüsse, haben Angst um ihre Heimat. "Ich glaube und fühle, dass es ein totales Desaster wird", sagt Leonardo Tello. "Es wird ein ökologisches Desaster, die Flüsse könnten zerstört werden."
Im Fluss leben die Ahnen
Und dann ist da auch noch das spirituelle Argument. In der Glaubenswelt der Kukama sind Flüsse der Ort, an dem sich die Ahnen versammeln. Ganze Städte von Familiengeistern soll es dort unten geben. Menschen, Tiere – sie alle würden nach ihrem Tod gemeinsam im Fluss weiterleben. Und wer in diese Welt eingreife, der mache alles zunichte. "Wer den Fluss stört, zerstört alles" sagt Leonardo Tello. "Die Verbindung, die Balance zwischen den Orten unter Wasser und den Dörfern am Ufer ist in Gefahr. Wir wohnen hier oben, unsere Ahnen unten – wie in einer Familie."
Zurück an Bord der Eduardo 3. Über den geplanten Groß-Ausbau der Wasserstraße hat auch Kapitän Perez jetzt etwas nachgedacht. Die Sorgen der Gegner nehme er ernst, sagt er, aber auch Fortschritt sei wichtig. In seinem Fall ist das vor allem die Hoffnung, hier eines Tages einmal mit größeren, moderneren Schiffen unterwegs zu sein. "Das würde mir gefallen. Ich will in meiner Karriere nicht stehenbleiben, sondern weiterkommen, über mich hinauswachsen – mich nicht zufriedengeben, mit dem was ich kann. Ich will mich weiterentwickeln."
Nicht zuletzt dank viel Regen von oben haben Schiff und Passagiere auf dieser Reise immer genug Wasser unterm Kiel. Auch ohne ausgebaggerte Fahrrinnen also, nach etwa 70 Stunden, die Ankunft im Hafen von Iquitos. Ob die Hidrovia Peru den Fortschritt bringen wird – und wenn ja, zu welchem Preis. Diese Diskussion ist hier am Amazonas weiter im Fluss.
Stand: 01.04.2019 13:36 Uhr
Kommentare