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Polen: Gegenstände gegen das Vergessen

Polen: Gegenstände gegen das Vergessen | Bild: WDR

Eine Taschenuhr, zwei Ringe, ein Ehering und ein Siegelring. Sie gehörten einem jungen Polen. Mehr ist von ihm nicht geblieben. Sein Name: Henryk Jatkiewicz: Die Nazis hatten ihn nach Auschwitz verschleppt und später ins KZ Neuengamme, dort verliert sich seine Spur. "Aufgrund der wenigen Angaben kann ich noch keine Suche starten. Ich weiß nur, dass er ein Pole war, Henryk Jatkiewiecz, und sein Geburtsdatum", sagt Małgorzata Przybyła.

Auch nach vielen Jahren werden neue Hinweise entdeckt

Małgorzata Przybyła und andere Rechercheure suchen nach Spuren, um Angehörige der NS-Opfer zu finden. Tausende liegen im weltweit größten Archiv für die Dokumentation von NS-Verbrechen in Bad Arolsen. Für die Direktorin ist die Rückgabe extrem wichtig. "Indem man diese Objekte zurückgibt, erzählen wir auch ein Teil der Geschichte, und diese Geschichte wird einfach in der Familie erzählt. Was hat dieser Mensch, unser Familienmitglied damals erlebt, warum, wieso, wie stehen wir heute dazu? Was hätten wir gemacht, was würden wir heute machen, wenn eine Diktatur wieder an der Macht ist", erklärt die Direktorin des Arolsen Archiv.

Was mit Henryk Jatkiewiecz passiert ist, weiß bisher niemand. Er ist einer von 600 ungeklärten Fällen aus Polen. Ist es 80 Jahre später noch möglich, Hinweise zu finden? Małgorziata findet tatsächlich eine Spur, die früher übersehen wurde: "Guck mal, das hier ist der Original-Umschlag aus Auschwitz, der ist anders als die anderen. Wenn du richtig als Polin liest, also ich, das ist kein t, hier steht Jałkiewicz… also falsch geschrieben… mit Unterschrift bestätigt."

Jałkiewicz, nicht Jatkiewicz – also ein Fehler beim Übertragen den Namens, als er von Auschwitz ins KZ Neuengamme verlegt wurde. Das hat ihn für die Rechercheure bisher unauffindbar gemacht. Falls seine Familie hier nach ihm gesucht hat, konnte sie wegen des falschen Namens nichts finden. Auf dem Umschlag aus Auschwitz steht auch: Henryk Jałkiewicz kam mit einem Transport aus Lodz.

Małgorzata kommt an dieser Stelle nicht weiter. Sie sucht Hilfe in Warschau: "Manuela, ich habe hier wieder eine Person, die ich gern an dich übergeben würde."

Auf den Spuren der Vergangenheit

Polen: Nachricht für Hinterbliebene von Nazi-Opfern.
Polen: Nachricht für Hinterbliebene von Nazi-Opfern. | Bild: WDR

Manuela Golc arbeitet in ihrer Freizeit ehrenamtlich für das Arolsen Archiv. Schon mehr als 100 Familien hat sie gefunden und ihnen Erinnerungsstücke zurückgeben können. Über Henryk findet auch sie nichts. Sie versucht es über mögliche Familienmitglieder. In den Geburtsregistern entdeckt sie die Namen der Eltern und Geschwister. Und, dass sie bereits verstorben sind. Vermutlich beerdigt in Lodz. Auf den Seiten der städtischen Friedhöfe findet sie das Grab seines Bruders. "Das Grab ist bezahlt, und es ist ein städtischer Friedhof. Das heißt, wir haben eine große Chance, die Familie zu finden, denn wenn das Grab nicht bezahlt wäre, dann würden wir wissen, dass es wahrscheinlich keine Familie mehr gibt", sagt Manuela.

Manuela fährt nach Lodz zum Friedhof. Zuerst versucht sie es bei der Friedhofsverwaltung. Vielleicht haben sie einen Kontakt zur Familie: "Hallo, guten Tag, ich bin Manuela Golc, Ehrenamtliche. Ich suche die Familie einer Person, die hier auf dem Friedhof begraben ist. Mieczysław Jałkiewicz." Tatsächlich gibt es einen Kontakt, aber die Frau vom Friedhof darf ihn nicht herausgeben – Datenschutz. Sie verspricht die Familie mit einem Brief zu informieren. Manuela bleibt dran. Sie sucht das Grab des Bruders von Henryk Jałkiewiecz. Dort will sie eine Nachricht hinterlassen, die vielleicht ein Familienmitglied findet. Vielleicht erinnert sich jemand daran, dass es mal einen Henryk in ihrer Familie gab. "Hier ist es, das ist Grab. Da sind frische Blumen, also kommt bestimmt jemand zu Besuch ans Grab, jemand aus der Familie hoffe ich."

Sie hinterlässt einen Zettel mit einer kurzen Erklärung und ihrer Telefonnummer. Manuela hofft, dass ihn jemand sieht und sich meldet. Zurück in Warschau. Agnieszka Bocheńska und ihr Bruder wissen sehr gut, wie wichtig die Rückgabe der gestohlenen Dinge ist. Vor drei Jahren haben sie eine Uhr, zwei Eheringe und eine Kette aus Bad Arolsen zurückbekommen. Sie gehörten ihrem Opa. Auch dieses Foto. Darauf seine Frau und sein Sohn. Die Geschwister haben erst jetzt viel über ihren Opa erfahren. "In diesem Moment aber haben wir angefangen, nach Opas Geschichte zu suchen. Da wurde er plötzlich von "einfach Opa" zu einem Helden, der für andere kämpfte", erzählt Agnieszka.

Sie fanden heraus, dass ihr Opa Teil eines polnischen Untergrundnetzwerks in Auschwitz war. Die Mitglieder versuchten, die Grausamkeiten, die dort passierten an die Öffentlichkeit zu schmuggeln. Von Auschwitz kam ihr Opa in ein KZ nach Deutschland und starb kurz vor Ende des Krieges. Aus Bad Arolsen bekamen sie auch ein Dokument über eine anonyme Grabstätte des Opas in Deutschland: "Das ist für uns sehr wichtig, denn Oma hatte ihr Leben lang danach gesucht."

Auch 80 Jahre später ist die Suche nach Schicksalen von Opfern der Nationalsozialisten nicht abgeschlossen. Auch die Geschichte von Henryk Jałkiewicz ist noch nicht zu Ende erzählt. Zwei Monate ist es her, da hatte Manuela den Zettel am Grab seines Bruders hinterlassen. Noch hat sich niemand bei ihr gemeldet.

Autorin: Kristin Joachim / ARD Warschau

Stand: 26.01.2025 18:35 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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