So., 21.01.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Russland: Bringt die Männer zurück
"Bringt die Männer zurück". So nennt sich eine lose Vereinigung von Frauen, deren Ehemänner, Söhne oder Brüder seit der Mobilmachung im Herbst 2022 in der Ukraine kämpfen. Denn wer einmal eingezogen wurde, wird nicht mehr aus der Armee entlassen. Die Wortführerinnen der Frauen bezeichnen sich als Patriotinnen, sie seien nicht gegen den Krieg. Aber sie fänden, dass jetzt mal Andere an der Reihe seien. Mittlerweile gibt es in vielen Städten Gruppen und kleinere Protestaktionen – sogar eine an der Kremlmauer. Russlands Führung kann das nicht gefallen, denn Mitte März soll gewählt werden – oder zumindest der Anschein erweckt werden. Unmut von Soldatenfrauen passt nicht in die Inszenierung.
Sie wollen ihre Männer zurück
Der Sieg wird unser sein, steht da. Und: Russland ist das Land der Sieger. Im grauen Moskau werden die Parolen immer größer, immer greller. Man kann ihnen nicht ausweichen. Die ganze Stadt wird zur Werbefläche für das Vaterland. Auch für die Zitate von Wladimir Putin, wie dieses: "Russlands Grenzen enden nirgendwo". Der Präsident ist omnipräsent, nicht nur im Stadtbild. Keine Nachrichtensendung ohne ihn. Hier testet er Gemüse in Russlands fernem Osten, in Moskau besucht er seine frisch eingerichtete Wahlkampfzentrale. Im März veranstaltet Russland Präsidentschaftswahlen, an deren Ausgang kaum jemand zweifelt. Auch wenn das Bild vom rund um den Chef geeinten Volk seit ein paar Monaten hauchfeine Risse hat.
Sie erkennen sich am weißen Kopftuch, jeden Samstag. Frauen, nicht nur hier in Moskau, auch in anderen russischen Städten. Blumen niederlegen am Grabmal des unbekannten Soldaten. Manche finden den Krieg gegen die Ukraine richtig, andere sind dagegen – sie eint, dass sie ihre Männer zurückwollen. Manche finden den Krieg gegen die Ukraine richtig, andere sind dagegen – sie eint, dass sie ihre Männer zurückwollen. "Wir sind Angehörige von Männern, die mobilisiert wurden. Wir fordern Demobilisierung. Zivilisten sollen nicht an Kriegen teilnehmen. Wir protestieren dagegen, dass man uns ignoriert, dagegen, dass die Staatsführung schweigt. Wir fordern, anzuerkennen, dass unsere Männer seit ihrer Einberufung vor anderthalb Jahren ihre Pflicht erfüllt haben. Sie sollen gehen dürfen." Tatsächlich sind viele Männer, Söhne, Brüder seit Monaten im Krieg – ohne Aussicht auf Entlassung.
Die Angehörigen lassen sich nicht einschüchtern
"Ich weiß nicht, an wen ich mich noch wenden soll", sagt Antonina. "Damit sie wenigstens die Verwundeten und Kranken, wie meinen Mann, nicht zurück an die Front schicken." Antoninas Freund ist im Krieg. Sie gehört zu den wenigen Frauen, die mit den Medien reden. Andere haben Angst. Etwa 20 sind in Moskau zu einem Treffen gekommen. Organisiert hat es ein Mann, dessen Chancen auf Erfolg ebenso gering scheinen wie die der Frauen. Boris Nadeschdin will Präsident werden. Zumindest sagt er das. Sehr überzeugt von seinen Chancen wirkt er selbst nicht, aber: er ist der einzige Herausforderer Putins mit einer Haltung gegen den Krieg. "Wir wollen, dass die Männer zurückkommen. Und ehrlich gesagt, will ich, dass das möglichst schnell zu Ende geht. Weil, nun ja, die Situation dort ist schlecht, ganz schlecht."
Nadeschdin formuliert vorsichtig, die Frauen nicht mehr. Sie sind der Polizei längst bekannt, haben ohnehin Probleme genug, was soll sie da noch einschüchtern. Auch Maria hat keine Angst. "Sollen wir auf die Zinksärge warten? Haben unsere Männer dann ihre Pflicht erfüllt? Warum dürfen die, Entschuldigung, Knastbrüder, die Verbrecher, die sich an die Front melden, schon nach einem halben Jahr zurück? Mein Mann ist seit der Mobilmachung weg und seit vergangenem Februar sitzt er im Schützengraben!"
Zweifel an Putin
Jaroslawl an der Wolga ist die Heimatstadt von Antonina. Ihr Freund sei vor mehr als 14 Monaten trotz Krankheit eingezogen worden, erzählt sie, nachprüfen können wir das nicht. Antonina geht gerne am Fluss spazieren, bei Wind und Wetter. Zum Interview treffen wir sie im Hotel, das ist ihr lieber als in ihrer Wohnung. Sie hat eine gute Meinung von Putin. Aber nun, sagt sie, kämen manchmal Zweifel. Dann versucht sie, sich in seine Situation zu versetzen. "Wenn es Beweise gibt für jemandes Schuld, dann bin ich bereit, ihn zu beschuldigen. Aber ich weiß gar nicht, ob Putin im Bilde ist über all das, was passiert. Oder ob sie ihm Dinge verschweigen, so wie uns? Unser Land ist groß, es ist schwer, das alles im Blick zu haben. Wir haben Fragen nach der Rückkehr unserer Männer eingereicht vor seinem Auftritt – aber nicht eine davon hat man ihm gestellt."
Offenbar hat man im Kreml erkannt, wie gefährlich das Thema der Mobilisierten ist. Bei der großen Antwortshow zum Jahresende blieben die Fragen der Frauen außen vor. Eine Frage ließ man den Moderator aber stellen, die nach der von vielen befürchten zweiten Teilmobilmachung. "Die Jungs, die Mobilisierten, kämpfen einfach super. Unter ihnen sind schon 14 Helden Russlands, von anderen Orden ganz zu schweigen. Täglich melden sich 1.500 weitere Männer für den Dienst. Alles zusammen werden es schon bald eine halbe Million Menschen sein. Wozu brauchen wir da noch eine Mobilmachung? Im Moment ist das nicht nötig." Kein Wort darüber, wann die Männer der ersten Mobilmachung zurück dürfen. Auch in Jaroslawl gibt es ein Denkmal für den unbekannten Soldaten. Als sie ihre Blumen bringt, trägt Antonina das weiße Kopftuch. Wen sie wählen wird im März, das hat sie noch nicht endgültig entschieden.
Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Moskau
Stand: 21.01.2024 22:47 Uhr
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