So., 06.09.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Schweden: Corona-Nachsorge per Computer
Weil die Kapazitäten ausgeschöpft waren, mussten die Ärzte im Krankenhaus von Södertälje handeln: Patienten, die nicht mehr so viel Betreuung brauchten, schickten sie nach Hause. Ausgestattet mit Computer und Internet wurden sie per Telemedizin betreut. Aus der Not geboren, getestet und jetzt für gut befunden. Wenn es in Schweden eine neue Corona-Welle gibt, dann wollen sie diese Form der Telemedizin für viele Patient*innen nutzen.
Corona-Nachsorge: Betreuung digital
"Hej, wie geht es Dir heute, ich habe gesehen Du hattes eine leicht erhöhte Atemfrequenz?", fragt die Ärztin. "Mir geht’s gut. Ich bin heute aufgestanden und habe etwas Kleinkram erledigt, vielleicht liegt es daran", antwortet Radmilla Paradzik. Visite im Internet. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sieht Radmilla Paradzik ihre Ärztin am Bildschirm. Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz – all das misst sie selbst. Eine Software schickt die Daten ins Krankenhaus. Die 54-jährige ist die erste Patientin dieses Pilotversuchs. Nach einer Infektion mit dem Corona-Virus im Sommer war sie 10 Tage im Krankenhaus und wird intensivmedizinisch versorgt. Als sie keinen Sauerstoff mehr braucht, machen ihr die Ärzte einen Vorschlag: Sie könne das Krankenhaus verlassen und sich über einen Computer medizinisch betreuen lassen. "Ich habe eine sehr gute Anleitung bekommen, wie man vorzugehen hat. Ich habe selbst meinen Blutdruck gemessen, die Temperatur und alles andere, was dazugehörte. Über drei Tage hinweg. Und da merkte ich dann – Mensch, das ist wirklich ok."
Ein Pilotversuch der in der Not geboren wurde. Das Krankenhaus in Södertälje bei Stockholm hatte in der Corona-Hochphase schlicht zu wenig Kapazitäten. Mit der medizinischen Versorgung per App haben sie in Schweden schon Erfahrung. Auch deshalb glaubt Chefarzt Ronald Söderholm, dass künftig noch mehr Patienten telemedizinisch versorgt werden. "Ich glaube, dass wir in Zukunft prüfen müssen: Warum sind Patienten noch im Krankenhaus? Könnte man es von zu Hause aus machen? Wenn möglich, finde ich, dass wir es auch von zu Hause machen sollten. Wir müssen die Ressourcen gut nutzen und wirklich das tun, was gut für den Patienten ist. Das führt auch zu neuen Arbeitsweisen."
Grenzen der Telemedizin
Auf dem Land kontaktieren die Menschen schon heute ihren Arzt erst einmal übers Netz. 70 Kilometer von Stockholm entfernt lebt Elena Dönhoff mit ihren Kindern. Statt lange auf einen Facharzt zu warten, nimmt sie lieber die Handy-App. Ohnehin sieht das schwedische Gesundheitssystem vor, sich nach einer kurzen Telefonberatung zunächst einmal selbst zu behandeln. Das Bild kommt in einem Büro in Stockholm an. Hier sitzt Seika Lee. Die Allgemeinmedizinerin arbeitet seit einem Jahr als Online-Ärztin. Erkältungen, Hauterkrankungen oder Übelkeit, sagt sie, ließen sich auf diesem Weg gut behandeln. Wartezeit: Maximal eine Stunde. Nur in schwereren Fällen könne sie irgendwann nicht mehr weiterhelfen. "Bei diesem elfjährigen Mädchen zum Beispiel. Sie hatte ja Beschwerden mit Husten. Ist es ein wiederkehrender Husten, oft oder über einen längeren Zeitraum? Dann gibt es deutliche Grenzen, wie oft man sich an uns wenden kann", erklärt die Ärztin Seika Lee. "Irgendwann verweisen wir auf den Besuch einer Arztpraxis."
50.000 Patienten hat allein dieses Start-Up im Monat. Das Geld für die Behandlung bekommt Gründer und Unternehmenschef Martin Lindmann aus Steuergeldern. Zum Ärger einiger niedergelassener Ärzte. "Wir sehen vor allem auch an der Tonalität der Debatte, dass wir digitale Pflege benötigen. Die Pandemie hat gezeigt: es ist effektiv, es hat einen Nutzen für den Patienten, den wir zuvor noch nicht gesehen haben. In der Branche, in der wir uns befinden, macht das einen enormen Unterschied." Radmilla Paradzik hat die Betreuung über das Internet überzeugt. Zurück bei ihrer Familie und in den eigenen vier Wänden habe sie sich schnell wieder besser gefühlt.
Autor: Christian Blenker, ARD-Studio Stockholm
Stand: 06.09.2020 21:32 Uhr
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