So., 28.07.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Schweiz: Basejump im Tal des Todes
Statisch gesehen ist es die gefährlichste Sportart. Wer mit dem Wingsuit abstürzt, überlebt das in der Regel nicht. Trotzdem bringen Simon und Géraldine Fasnacht jeden Mittwoch ihren fünfjährigen Sohn in den Kindergarten, um sich anschließend von einer Felskante rasend schnell in den Abgrund zu stürzen. Sie sind das wohl beste Wingsuit-Paar der Welt. Die Felskante gilt als einer der Basejump-Hotspots in der Welt und gleichzeitig auch als eine der tödlichsten.
Das Gefühl, frei wie ein Vogel zu sein
Sie wirken wie zwei ganz normale Wanderer. Doch nachdem Simon und Géraldine Fasnacht eben ihren fünfjährigen Sohn in der Kita abgegeben haben, wollen sie sich gleich von dieser Felskante ungebremst ins Tal stürzen. So wie jeden Mittwoch. Auf der Suche nach dem Gefühl, frei wie ein Vogel zu sein. "Fliegen – über den Wolken ist die Freiheit grenzenlos. Ikarus. Ich meine, der Traum vom Fliegen ist in uns drin in den Menschen", schwärmt Simon Fasnacht." Wir sind leider nicht gemacht dazu. Und mit dieser Aktivität, speziell mit dem Wingsuit, so wie wir es hier praktizieren können, denke ich, kommen wir diesem Traum vom Fliegen, zumindest dem Gefühl, sehr nahe."
Ein Kuss – dann geht’s los für das wohl beste Wingsuit-Basejump-Paar der Welt. Wie oft Simon von Felskanten gesprungen ist, hat er vor Jahren aufgehört zu zählen – damals lag er bei 3.500 Sprüngen. Das hier ist ihr Hausberg. "Wenn man natürlich dann springt, speziell wie ich das Vergnügen habe, mit meiner Frau zu springen, zu zweit mit einem Partner, da ist dieser Moment, wo man dann springt, im Flug, sehr sehr intensiv ist und man diesen Moment sehr tief lebt."
Angst vor dem Sterben?
Beim Öffnen verdreht sich Géraldines Schirm. Dadurch landet sie beinahe in einem Privatgrundstück am Ortsrand. Unfreiwillig. Hat sie in solchen Momenten Angst, zu sterben? "Weißt Du, dass alle Menschen irgendwann sterben? Alle. Wir machen also besser das, was wir lieben. Und ich liebe das hier. Ich kenne meine Grenzen und wie weit ich gehen kann als Mutter. Mein Leben ist mir wichtiger als mein Sport." Vor zehn Jahren war Géraldine als erster Mensch aufs Matterhorn geklettert und mit dem Wingsuit runtergesprungen. Eine Pionierleistung, auf die sich die frühere Profi-Snowboarderin viele Jahre vorbereitet hatte.
Das Lauterbrunnen-Tal im Berner Oberland gilt als das Mekka der Wingsuit-Szene. Mathias Wyss vom Basejump-Verband will den Trendsport sicherer machen. Mit stabilen Plattformen an den Absprüngen, so wie dieser. Dennoch sterben in Lauterbrunnen so viele Basejumper wie nirgendwo sonst auf der Welt. Bislang wurden 67 registriert. "Ich streite nicht ab, dass es hier Todesfälle gegeben hat bei den Basejumpern. Todesfälle gibt es hier aber auch auf den Skipisten, beim Freeriden, beim Klettern, beim Wandern. Ja, wo Leute bisschen die Limits pushen, etwas machen, das vielleicht nicht gerade wie Golfspielen ist. Sachen passieren."
Selbst Ueli Emanuele starb bei einem Übungssprung in Lauterbrunnen. Dabei galt er als König der Wingsuit-Springer, seit er durch dieses Loch geflogen war. Aufwändig gefilmt von seinem Sponsor GoPro. Die Tragödien im Lauterbrunnen-Tal – für Mathias Wyss kein Grund, den Sport, den er liebt, zu verbieten. "Sieht alles gut aus. Helikopter auch keinen. Ja, dann wünsche ich euch einen guten Aufstieg. 3,2,1 go."
Ein Lebensstil, der das Leben kosten kann
Weil in Lauterbrunnen überdurchschnittlich viele Basejumper sterben, hat Pfarrer Markus Tschanz reagiert und diese Gedenkstätte für Basejumper eingerichtet. "Also, wenn es nicht klappt, oder ein medizinisches Problem ist oder die Windverhältnisse ungünstig sind, dann kann es sein, dass Menschen sterben. Und das ist natürlich dahinter eine Tragödie für die Angehörigen." Derzeit gibt es in der liberalen Schweiz keine politische Mehrheit für ein Verbot. Dennoch fordert Polizei-Gewerkschafter Adrian Wüthrich ein Ende des Hochrisiko-Sports. "Das Grausame ist, wenn solche Sportlerinnen und Sportler, wenn man so sagen will, gegen die Felswände prallen und man da einzelne Teile einholen muss. Grausam."
Auch Simon und Géraldine haben bereits Freunde verloren. Auch solche, die ähnlich erfahren waren wie sie. Simons langjähriger Partner beim Wingsuit-Fliegen war Patrick Kerber. Bei einem vergleichsweise einfachen Sprung verunglückte Patrick im Alter von 35 Jahren tödlich. Zuvor hatte Patrick einen Rekord aufgestellt, als er den weltweit längsten Flug vom Gipfel der Jungfrau wagte. Wie erklärt sich Simon den Tod seines Freundes? "It is what it is." Da gibts keine Idee, warum sowas passieren kann bei Leuten, die eigentlich viel fliegen? "Es gibt auch Verkehrsunfälle, es gibt, das Leben ist so. Da gibt es eigentlich nicht viel zu erklären." Wingsuit ist für Simon und Géraldine Teil ihres Alltags. Ein fantastischer Lebensstil, der – bei einem Fehler – das eigene Leben kosten kann.
Autor: Matthias Ebert, ARD-Studio Genf
Stand: 29.07.2024 07:32 Uhr
Kommentare