So., 03.12.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Singapur: Grüne Fassaden gegen Hitzestau
Immer mehr Menschen zieht es weltweit in die Städte. Eng bebaut mit asphaltierten Straßen und Betonburgen klettern die Temperaturen in den Megacitys auf ständig neue Höchststände. Singapur probiert Wege und Methoden, die Stadt durch intelligente Lösungen runter zu kühlen. Fassaden von Hochhäusern werden aufwendig begrünt. Die Höhe der Wolkenkratzer variieren stark, damit mehr Luftschneisen entstehen. Wo dies umgesetzt wird, sinken die Temperaturen und das Leben wird deutlich angenehmer.
Der "Pflanzenflüsterer" in Aktion
Klimaanlagen ohne Ende. Fast alle kühlen damit in Singapur die Räume runter. Weil es immer so heiß und schwül ist. Aber die Geräte sind ein Teil des Hitze-Problems. Sie erforscht, wie sich die Temperaturen entwickeln. Lu Yijun Yolanda studiert Architektur und nachhaltiges Design. Mit der Wärmbildkamera dokumentiert sie einen klassischen Teufelskreis. "Die Klimaanlagen blasen noch mehr Hitze nach draußen. Die Stadt heizt sich also nochmal schneller auf als die Umgebung. Und das ist nicht gut. Für das Klima und die Umwelt." Was die Situation in Singapur weiter anheizt: Das extreme Wachstum. Immer mehr Bewohner, immer mehr Beton. In Singapur sind die Temperaturen in den vergangenen Jahren doppelt so rasant gestiegen wie im Rest der Welt.
Er will einen kühlen Kopf bewahren im Klimawandel. Veera Sekaran ist ein Singapurer Urgestein, hat aber selbst auch täglich mit der Hitze zu kämpfen. "Ihr habt ja gesehen, wie ich hier hergekommen bin, ich schwitze immer noch, es ist 10…11 Uhr morgens, und jetzt nimmt die Luftfeuchtigkeit noch zu." Veera Sekaran ist Architekt und Botaniker. In Singapur nennen sie ihn den "Pflanzenflüsterer". Seine Waffe gegen den Klimawandel, so simpel wie effektiv: Vertikale Grünflächen an Gebäudewänden. "Man kann das fühlen. Wenn ich hier näher rangehe, dann merke ich schon, wie die Hitze weniger wird. Die Pflanzen produzieren Sauerstoff und nutzen meine Atemluft für die Photosynthese. Wenn man diese Biochemie überall in der City hätte, dann würde der CO2-Gehalt signifikant runtergehen. Und auch die Hitze. Und das macht einen großen Unterschied." An dieser Wand wachsen 30 verschiedene Pflanzenarten. Das Bewässerungssystem sorgt für nötige Nährstoffe. Zwei Mal im Monat stutzen Arbeiter das Grün. Langfristig ist das günstiger als eine klassische Betonfassade. "Die Klimaanlagen-Kosten für drinnen sind niedriger. Da spart man eine Menge. Also ein paar Dollar für Pflanzen auszugeben, um viele tausend Dollar einzusparen, das ist ein gutes Geschäft."
Die Architektur des Waldes in den Städtebau übertragen
Was für einen Unterschied die Begrünung an Häuserwänden machen kann, das zeigt uns Yolanda an einem anderen Gebäude. Diese Fassade ist an einigen Stellen pflanzenbewachsen. Auf die anderen Flächen, Stahl und Beton, knallt die Sonne. Der Temperaturunterschied: Stolze fünf Grad Celsius. Doch allein mit Begrünung kommt auch Singapur nicht gegen die steigenden Temperaturen an. Darum bauen sie hier nun luftiger und nachhaltiger.
Zum Beispiel das neue Universitätsgebäude. Oben drauf: Solarzellen. Netto Null Emissionen. Hier lehrt auch Professor Veera Sekaran. Er zeigt uns das Geheimnis der kühlen Architektur, wo den Studierenden ein einfacher Deckenventilator zur Abkühlung reicht. Hohe Wände, offene Fassaden. Hier im Gebäude zieht’s. Und das soll auch so sein. "Das Gebäude ist so ähnlich aufgebaut wie ein Wald. Wie bei unterschiedlich hohen Bäumen sind manche Gebäudeteile hoch, manche niedrig. Wir müssten versuchen die Architektur des Waldes in den Städtebau zu übertragen. Wir können uns vieles von der Natur abschauen, das ist entscheidend.
Und meistens sieht es auch noch spektakulär aus. Dieses Hotel im Zentrum von Singapur ist preisgekrönt. Luftige Etagen statt glattem Beton. Die Terrassen und Gärten sind so gebaut, dass die Grünfläche nun doppelt so groß ist wie die Grundfläche. Singapur bezuschusst nachhaltige Architektur. Und verfolgt langfristig ehrgeizige Ziele: Bis 2030 sollen eine Million neue Bäume gepflanzt werden. Und es soll so viele Parks in der City geben, dass jeder in der Stadt in höchstens 10 Minuten im Grünen ist.
Bringt das was? Sie können in die Zukunft sehen. "Cooling Singapore" heißt das Projekt. Die Forschenden haben einen digitalen Zwilling der Stadt programmiert. Damit können sie simulieren, wie sich die Temperaturen mit einzelnen Projekten senken lassen. Links ein Wärmebild mit den heutigen Tagestemperaturen in Singapur. Rechts mit der Annahme, dass alle Gebäude energetisch nachhaltig gebaut werden. Die ganze Stadt gleich ein bis zwei Grad kühler. Singapur begreift sich als Motor für Südostasien im Kampf gegen steigende Temperaturen und investiert Milliarden. Der reiche Stadtstaat kann sich das im Gegensatz zu anderen Entwicklungsländern allerdings auch buchstäblich leisten.
Autor: Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur
Stand: 04.12.2023 11:34 Uhr
Kommentare