Mo., 29.05.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Spanien: Britischer Bammel vor dem Brexit
Im Lawn Bowls Club schieben englische Rentner eine gepflegte Kugel. Alles "very british", dabei sind wir mitten in Spanien, in Andalusien.
Ende der britischen Idylle in Spanien?
Doch die Idylle könnte bald ein Ende haben, ihr Leben wird sich durch den Brexit dramatisch ändern. Noch geben sie sich heiter gelassen, aber ihre englischen Renten könnten in Zukunft eingefroren, der Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem Spaniens unmöglich werden. Und so gerät der Traum vom Lebensabend unter Palmen in Gefahr. "Unsere Hauptsorge ist die Gesundheitsversorgung. Wenn die EU den Zugang zum öffentlichen System des Gastlandes stoppen sollte, dann müssten wohl 90 Prozent von uns nach England zurück. Eine Privatversicherung können wir uns nicht leisten", erzählt Alan Bloome, ein Rentner in Spanien.
Im Klub treffen wir auch Christine Rowlands, Vorsitzende der Tories in Andalusien, also der konservativen Partei Englands. Christine ist auf ihre Chefin Theresa May nicht gut zu sprechen: Den Brexit unterstützt ohnehin kaum ein Auslandsengländer, man fühlt sich alleingelassen. Christine wird für May keinen Wahlkampf machen.
"Es sieht ja nach einem harten Brexit aus. Aber was ist ein harter Brexit? Ein paar Fakten würden uns schon helfen. Ich will ja gar nicht, dass man uns alles ganz genau erklärt. Nur ein paar Informationen. Das wäre echt hilfreich für unsere Mitglieder."
Von Engländern profitiert die Wirtschaft Spaniens
Wir sind in Mijas an der Costa del Sol – eine Postkarten-Idylle. Die Hälfte der rund 80.000 Einwohner sind Ausländer, 11.000 Briten machen den Hauptanteil aus. Es wird viel Englisch gesprochen, davon profitiert die einheimische Wirtschaft. Aber schon jetzt verdirbt der schlechte Umtauschkurs vom Pfund zum Euro vielen den Appetit. Die Aussichten für die hier lebenden Briten verdüstern sich, etwa für Kitt Hoggs. Er arbeitet schon lange als Baumdoktor, seine Kunden: Englische Hausbesitzer. Doch nun ändert der Brexit alles. "Ich muss irgendwie damit fertig werden, dass meine Kunden weniger werden. Denn immer mehr Engländer verlassen Spanien."
Mit seinem Team bekämpft Kitt Schädlinge auf Johannisbrotbäumen oder Palmen, die meist britischen Eigentümer zahlen gut dafür. Nun kommt ein unsichtbarer Feind dazu: Die wachsende Unsicherheit unter Spaniens Engländern. Was wird nach dem Brexit mit dem Eigentum, den Steuern, braucht man ein Visum? Gift fürs sonnige Gemüt – auch Kitt ist verunsichert.
"Natürlich fühlen wir uns, ohne den Schutz der Europäischen Union, sehr verwundbar. Aber irgendwie muss das Leben ja weitergehen. Ich jedenfalls liebe Spanien, nach England will ich auf keinen Fall zurück."
Spanische Staatsbürgerschaft als Alternative
Zurück in die Stadt Mijas, ein Blick ins Rathaus zeigt: Die Ausländer haben diese Gemeinde reich gemacht. Die drohende Abwanderung der Engländer sei ein Erdbeben für den Ort, meint Juan Carlos Maldonado, der Bürgermeister von Mijas. "Das hätte natürlich sehr negative Folgen für uns, wenn ein großer Teil der Bevölkerung uns verlassen würde. Die Engländer tragen ja zu unserer Wirtschaft und zum Erhalt der Arbeitsplätze bei." Rund um Mijas liegen solche Wohnsiedlungen – auch hier ist der Brexit-Schock spürbar. Seit dem Referendum ist in Spanien die Zahl der von Briten verkauften Wohnungen und Häuser um 16 Prozent gestiegen.
Düstere Aussichten an der Costa del Sol. Wer nicht nach England zurück will, geht einen anderen Weg – den in die Sprachschule. Immer mehr Briten melden sich zum Spanisch-Unterricht an. Nur mit ausreichenden Landes- und Sprachkenntnissen kann man die spanische Staatsbürgerschaft erlangen.
Hoffnung auf "common sense"
Lehrerin Anne Hérnandez, gebürtige Britin, lebt schon mehr als dreißig Jahre in Spanien. Sie weiß: Spanisch ist nicht immer einfach, aber noch schwieriger ist es, den englischen Pass abzugeben. "Gerade Älteren fällt das sehr schwer. Für sie ist es wie ein Verrat an den Vorfahren, die für Großbritannien gekämpft haben." "Ich würde viel lieber die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen, aber bislang erlaubt dies die spanische Regierung nicht. Ich hätte gerne beide Pässe, aber wenn das nicht geht, werde ich mein Bestes geben, um Spanier zu werden", sagt Owen Davis, ein Spanisch-Student.
Baumdoktor Kitt auf dem Weg zum nächsten Haus, dort sollen Palmen desinfiziert werden. Was wird mit seinem Betrieb, seiner Arbeitserlaubnis? Kitt gibt sich nach außen gelassen, er hofft auf den berühmten "common sense". 300.000 Engländer sind in Spanien registriert, inoffiziell könnten es bis zu eine Million sein. Was wird aus ihnen?
"Wenn es einen harten Brexit geben sollte, wird‘s natürlich härter. Aber dann werde ich Spanier. Ganz einfach. Ich bleibe hier", so Kitt Hoggs.
Zwei Jahre sollen die Brexit-Verhandlungen dauern, zwei Jahre quälende Ungewissheit für Kitt Hoggs und viele andere. Für die Engländer in Andalusien sind das keine schönen Aussichten mehr.
Autor: Stefan Schaaf/ARD Madrid
Stand: 14.07.2019 17:32 Uhr
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