So., 03.03.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Polen: Der mit dem Elch tanzt
Als Polen noch mitten im Aufbruch war, kurz nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, hat Krzysztof Kawenczyński der Zivilisation vor den Rücken gekehrt. Aus dem Antiquariatsleiter in Warschau wurde der "König von Biebrza", wurde der Einsiedler, der Eremit, wurde der Träumer, der Mensch, der die Natur über alles liebt. Mit 22 Hunden hat er es sich am Waldrand in einer alten Hütte gemütlich gemacht mitten in Polens größtem Nationalpark im Nordosten des Landes. Ulrich Adrian hat ihn besucht. (ARD Warschau)
Krzysztof Kawenczyński lebt im Nationalpark, umgeben von 600 Quadratkilometern unberührter Natur. Er ist 60 und hat sich vor 20 Jahren so entschieden. "Scheinbar ist hier nichts los. Hier ist das Leben stabiler und ruhiger als in der Stadt. Es ist ein Leben für das Leben. Ich liebe das Leben hier. Ich hoffe, ich werde 100. Ich versuche, der Natur jeden Tag etwas näher zu kommen. Irgendwann wird mich die Natur verschlucken und ich gehe in sie ein. Dann bin ich hier für immer."
Geld braucht er im Wald nicht viel. Die nächsten Nachbarn wohnen Kilometer entfernt. Aus dem Antiquariatsleiter in Warschau wurde der „König von Biebrza“, wurde der Einsiedler, der Eremit, wurde der Träumer, der Mensch, der die Natur über alles liebt. Vom Geld aus seinem alten Leben hat er 40 Hektar Land gekauft, EU-Subventionen inklusive. Mit 22 Hunden hat er es sich am Waldrand in einer alten Hütte gemütlich gemacht. Er ißt Wurzeln, Beeren und Pilze, selten Fleisch. Er sammelt naive Volkskunst und frönt vor allem seinem Lieblingshobby, der Langeweile. „Langeweile ist meine Leidenschaft. Ich liebe Langeweile. Ich langweile mich gern. Ich lebe die Langeweile. Ich weiß gar nicht, ob das wirklich Langeweile ist. Vielleicht ist es eher die Erfahrung, einsam in der Natur zu sein. Für mich ist das eine Art Lebensstil und meine Leidenschaft.“
12 Grad ist es in der Hütte warm oder kalt, aber erst, nachdem Krzysztof den Bollerofen tüchtig angeheizt hat. Und zur Feier des Tages – wir sind die ersten Besucher seit über einer Woche – schmeißt er sogar sein Grammophon an und lauscht dem Kuckuckswalzer. „Wenn ich jetzt gleich raus in den Wald gehe und mich die Wölfe fressen, wäre das Glück für mich. Das ist der Kreislauf der Natur. Ich habe panische Angst vor dem Friedhof, da will ich nicht liegen, wenn ich tot bin. Ich will im Wald sterben. Ich habe mir einen Spaten gekauft. Wenn ich im Sterben liege, gehe ich raus und grabe mich ein. So plane ich meinen Tod.“ Aber soweit ist es noch nicht, wie gesagt, Krzysztof will 100 werden. Und das dürfte ihm bei seinem Tempo auch gelingen. Denn Krzysztof hat keine Uhr dabei und braucht auch keine. Auf seinen oft stundenlangen Spaziergängen durch den Wald hat er Zeit zum Nachdenken und Philosophieren. „Ich will mich nicht beeilen. Darum lebe ich hier. Mein Leben soll langsam vergehen. Das Geheimnis ist ja gerade, daß ich mir mit meiner Langsamkeit mein Leben verlängere.“
Im Winter kommen manchmal die Bauern der Gegend mit ihren Schlitten vorbei. Die nehmen den „Waldkauz Krzysztof“ - wie sie ihn nennen - ein Stück mit und dann macht er, was er selten tut: einen kleinen Schwatz und hört sich den neusten Dorfklatsch an. Doch zu den Dörflern selber geht er selten. Die finden ihn zwar etwas merkwürdig, aber respektieren ihn. Die Sympathie überwiegt. Der Schutz der Umwelt steht für Krzysztof über allem. Der maschinelle Torfabbau in der Gegend stört ihn zum Beispiel – und auch das Profitdenken der Menschen, wenn es um seinen geliebten Wald geht. „Andere Menschen sehen den Wald und die Bäume als Rohstoff. Aber das stimmt doch nicht. Jeder Baum lebt doch. Ich habe ein Problem damit, einen Baum zu fällen. Ich greife so wenig wie möglich in die Natur ein, ich kämpfe um das Überleben jedes Baumes, wenn sie mit der Säge kommen. Gut, ich brauche selbst Holz für mein Herdfeuer, ich muß überleben. Aber mir tut es immer leid um den Baum.“
Am nächsten Tag treffen wir Krzysztof wieder. Er will uns noch etwas zeigen, was er besonders liebt: Elche. Die sind scheu, aber wir haben den besten Spurenleser Polens bei uns. Krzysztof nennt den Wald das „Schlafzimmer der Elche“ – und 20 Minuten später stehen wir tatsächlich vor ihnen. Staunend. „Das ist eine Elchmutter mit ihrer Tochter. Ich hab sie Matilda getauft. Zu Ehren von Zar Nikolaus II., der sich im 19. Jahrhundert in eine Matilda verliebt hat. Sie war Tänzerin am St. Petersburger Theater und sie war wunderschön. Und der Elch ist es auch.“
Manchmal besucht Krzysztof seine beste Freundin im tiefen Winterwald: Es ist eine 300 Jahre alte Eiche. Er umarmt sie und legt seine Wange an ihre Rinde. Ich weiß, für sie sieht das seltsam aus, sagt er uns, aber ich nehme so die Energie des Baumes auf. „Ab und zu habe ich das Bedürfnis, meinen Lieblingsbaum zu besuchen. Ich umarme diese Eiche sehr gerne. Manchmal gebe ich ihr sogar einen Kuss. Und sie ist dankbar und gibt mir ihre Liebe und Energie zurück. Ich fühle das, obwohl sie mich nicht umarmen kann. Sie ist ja ein Baum.“ Krzysztof Kaweńczyski ist glücklich im Wald. Tauschen möchte er mit niemandem …
Stand: 22.04.2014 14:04 Uhr
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