So., 27.04.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Nepal / Katar: Zum Arbeiten in die Hölle
Kul will in den nächsten Tagen seine Heimat verlassen. So wie Hunderttausende seiner nepalesischen Landsleute. Kul ist jung, arm, arbeitslos, aber er hat ein Visum bekommen für Katar – das arabische Emirat am Persischen Golf, in dem 2022 die Fußballweltmeisterschaft stattfinden wird.
Im Gegensatz zu Nepal ist Katar ein superreiches Wüstenland, in dem seit vielen Jahren ein gewaltiger Bauboom ausgebrochen ist. Auf den dortigen Baustellen arbeiten über eine Million Gastarbeiter. Kul will einer von ihnen sein. Und er weiß, was ihn erwartet. 12-14 Stunden Schuften in sengender Sonne, ein karger Lohn, enge und hoffnungslos überfüllte Unterkünfte. Was Kul nicht ahnt – oder vielleicht nicht wissen will – jeden Monat verunglücken auf diesen Großbaustellen Dutzende von Arbeitern. Jeden Monat müssen Tote zurück transportiert werden, auch nach Nepal.
Menschenrechtsorganisationen sprechen von modernem Sklavenhandel und erheben schwere Vorwürfe gegen Katar und auch gegen die FIFA, als Veranstalter der kommenden Fußballweltmeisterschaft. ARD-Korrespondent Jürgen Osterhage (Studio Neu Delhi) hat die Arbeitsmigranten in Nepal besucht.
Sangeeta. Sie kann nicht mehr sprechen. Sie fühlt nur noch Leere. Tiefe Trauer. Seit sie erfahren hat, dass ihr Mann auf einer Baustelle im Wüstenstaat Katar gestorben ist. An einem Hitzschlag. Vier Wochen ist das jetzt her. Auch Podini, die Mutter, kann es immer noch nicht fassen, dass ihr ältester Sohn nie mehr zurückkehren wird. In das kleine Dorf Thansingh nach Nepal. Mitten im Himalaya. "Wir sind arme Leute. Mein Sohn ist weggegangen, um Geld zu verdienen, um unser Leben zu verbessern. Aber jetzt müssen wir mit dieser großen Katastrophe zurechtkommen“. Ganesh Nepali, der Vater, zeigt mir Bilder. Raju, sein ältester Sohn, arbeitete nur knapp zwei Monate als Bauarbeiter in Katar. Dann starb er. Mit 35. Kurz vor der Abreise hatte er geheiratet. “Es war ein großer Fehler, meinen Sohn gehen zu lassen. Das wird mir jetzt klar. Aber was sollten wir machen? Es gibt keine Jobs hier. Es war pure Verzweiflung.“
Nepal gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. In der Tat pure Verzweiflung. Kampf ums Überleben. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent. Nicht nur auf dem Land. Auch 50 Kilometer weiter in der Hauptstadt Kathmandu. Lange Schlangen mit Ausreisewilligen. Vor allem junge Leute. Die meisten wollen nach Katar. Mehr als eine halbe Million Nepalesen sind schon dort. Allein dieses Jahr kommen 100.000 hinzu. Tendenz: steigend, denn die Hochphase der WM-Bautätigkeit hat noch gar nicht begonnen.
Ich besuche eine von inzwischen mehr als 1.000 Agenturen, die die jungen Leute ins Ausland vermitteln. Und erlebe Menschenhandel im 21. Jahrhundert. Es geht nur um den Profit. Rund 1.500 Dollar, für Nepalesen ein Vermögen, muss jeder für die Vermittlung ins Ausland bezahlen. Das Geld müssen sich die jungen Leute meist bei den Agenturen leihen. Mit bis zu 60 Prozent Zinsen. Auch Raju Nepali, der vor kurzem in Katar starb, wurde von dieser Agentur vermittelt. Die Chefin, nach seinem Tod befragt, kümmert das überhaupt nicht. “Solche Dinge passieren", meint Ganga Kumari Pul. "Wir sind gläubige Menschen. Das ist Schicksal. Ich habe gehört, es liegt an der Familie. Ein genetisches Problem“.
Doch selbst diese Skrupellosigkeit schreckt die jungen Menschen nicht ab, ins Ausland zu gehen. Auch nicht Kul Bahadur. Nur drei Jahre ist er zur Schule gegangen. Richtig lesen und schreiben kann er nicht. Er kommt aus dem Hinterland Nepals, 200 Kilometer von Kathmandu entfernt. Die Hauptstadt hat er noch nie gesehen, geschweige denn ein Flugzeug betreten. Er benötigt noch einen Stempel für die Ausreise und muss sich dafür anstellen. Nur eine Tasche hat der 24jährige bei sich. Dazu ein paar Papiere von der Agentur, die er nicht versteht. Die Regierung Nepals unternimmt nichts gegen diesen Menschenhandel. Im Gegenteil: Sie unterstützt die Arbeitsmigration ihrer Landsleute. Damit Geld ins Land kommt. Einen Tag später fliegt Kul Bahadur nach Katar. Über das Land weiß er gar nichts. Nicht einmal wo es liegt. “Ich bin arm. Es gibt keine Arbeit. Eigentlich möchte ich in meiner Heimat Nepal bleiben. Aber ich habe keine andere Wahl. Wie sollen ich und meine Familie sonst überleben“. Rameswar Nepal kennt diese Zwänge. Er ist in Kathmandu Direktor der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Er war vor kurzem in Katar und zeigt mir Bilder. Rameswar erzählt mir von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Schufterei 12-14 Stunden am Tag. An sechs Tagen die Woche. Und das für 200 Dollar im Monat. “Sie bekommen ihr Gehalt nicht pünktlich oder gar nicht. Dazu gibt es keinen Kranken- und Arbeitsschutz“.
Er hat auch ein Video aus Katar mitgebracht. Mindestens zwei Jahre am Stück müssten die ausländischen Arbeiter im Land bleiben. Ihnen würden sogar die Pässe wegegenommen. Sie könnten sich nicht frei bewegen. Er spricht von Zwangsarbeit und Leibeigenschaft. Die Unterbringung sei katastrophal: Die Menschen würden wie Vieh zusammengedrängt. “Die ausländischen Arbeiter in Katar werden behandelt wie Tiere. Nicht wie Menschen“. Für viele enden die Torturen unter den extremen Klimabedingungen im Wüstenstaat tödlich. Fast täglich kommen Särge aus Katar nach Kathmandu. Dann werden die Toten verbrannt. Die meisten sterben an Erschöpfung oder Hitzschlag. So war es auch bei Raju, einem der letzten Opfer. Seine Familie zuhause in den Bergen des Himalayas steht noch immer unter Schock. Seine Frau, zusammengesunken wie ein Häufchen Elend. So viel Leid. Deprimierend und empörend zugleich.
Stand: 28.04.2014 15:27 Uhr
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