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Indonesien: Der Fluch der Schatzinsel

Indonesien: Der Fluch der Schatzinsel | Bild: Das Erste

Die Erde, das Wasser, der Pullover, die Spritzer im Gesicht: Alles Ton in Ton: silbrig-grau. Robi Vaden gräbt sich jeden Tag aufs Neue tiefer in die Erde. Auf der Suche nach Zinn: eines der begehrtesten Edelmetalle der Welt, seit es wohl jeder irgendwie in der Hosentasche stecken hat. In seinem Mobiltelefon. Robi Vaden, Minen-Eigentümer, meint: "Kann man schon so sagen, wir riskieren unser Leben, damit andere telefonieren können. Es passiert ja immer wieder: der Berg über dir stürzt ein, du wirst verschüttet. Die Suche nach Zinn ist ziemlich gefährlich."

Zinnabbau auf der Insel Bangka, Indonesien.
Der Zinnabbau zerstört die indonesische Insel Bangka. | Bild: SWR

Bangka - vor der Küste von Sumatra: eine Schatzinsel. Hier schlummert so viel Zinn in der Erde wie nirgendwo sonst auf der Welt. Der Schatz hat die Insel reich gemacht. Und zugleich brutal zerstört. Unwirkliche Kraterlandschaften. Wie auf dem Mond, ein gigantisches Niemandsland. Das meiste Zinn wird illegal abgebaut. In tausenden kleinen Minen. In Vorgärten und Hinterhöfen. Im Wald, am Strand, am Straßenrand Und von hier aus über Zwischenhändler auf den Weltmarkt gespült.

Ganze Familien leben davon. Hausmütterchen und junge Männer, Rentner, Teenager und sogar Kinder. "Ich bin häufig hier", sagt die 12-jährige Cintia. "Ich wasche das Zinn. Ich gehe gerne zur Schule. Aber auf der Mine zu arbeiten, macht auch Spaß." Das sie Zinn aus Bangka beziehen, die großen Hersteller von Telefonen, Tablets, und Gadgets haben es längst zugegeben. Das Zinn aus Kinderhänden. Sie haben versprochen, dass sich etwas ändern wird. Doch tut es das?

Ein Besuch bei Friends of the Earth. Die Organisation kämpft seit Jahren für mehr Verantwortung der Konzerne. Ratno Budi, Friends of the Earth, schildert: "Wir haben die großen Elektronikfirmen immer wieder angesprochen. Sie müssen gegen die Umweltzerstörung vorgehen. Aber wir sehen keinen Fortschritt. Die Firmen werden ihrer Verantwortung nicht gerecht."

Minenarbeiter Basri verunglückte beim Zinnabbau.
Minenarbeiter Basri verunglückte beim Zinnabbau, er hat schwere Knochenbrüche. | Bild: SWR

Umweltzerstörung, Kinderarbeit. Es kommt noch schlimmer. Der Zinnabbau macht die Gesundheit kaputt. Seit drei Wochen liegt der Minenarbeiter Basri auf seiner Matratze. Beinahe unbeweglich vor Schmerz. Zwei Rippen sind gebrochen und das Schambein, vielleicht sogar die Hüfte. "Ich kann mich an den Unfall kaum erinnern“, erzählt Basri. „Ich habe unten in der Mine gearbeitet. Und dann ist der Berg über mir zusammengestürzt." Der Staat würde Basris OP sogar bezahlen. Aber der Mann hat Angst vor den Ärzten und dem Krankenhaus. Er vertraut lieber dem Wunderheiler aus dem Dorf. Eine Kräutertinktur soll die Knochenbrüche heilen. Basri, der verletzter Minenarbeiter, auf die Frage, ob das Unglück vermeidbar war: "Ja, wir hätten Stufen in die Erde schlagen können, dann wäre der ganze Hang stabiler gewesen. Aber das hätte gedauert. Und Zeit ist Geld."

Immer wieder werden die Arbeiter lebendig begraben. Jährlich sterben mehr als 100 Menschen in den Minen von Bangka. Jede Woche gibt es Tote. Auch während unserer Dreharbeiten. Die meisten werden verschüttet. Das Gewicht der Erde bricht ihnen alle Knochen. Wer dann noch lebt, bekommt meistens keine Luft mehr. Und erstickt. Frische Gräber auf dem Dorf-Friedhof. Allein hier liegen fünf Männer begraben. "Viele andere sterben in der Regenzeit. Durch Blitzschlag. Das Zinn zieht den Blitz wie magisch an", erzählt der Totengräber Didi Zulkarno.

Immer neue Abbaugebiete erschließen sich die Schatzräuber. Auch vor der Küste von Bangka sind die Arbeiter schon fleißig. Zwei Kilometer vom Strand: - ein schwimmendes Dorf. Alles auf diesen wackelige Flößen ist selbst gemacht, improvisiert, halb kaputt und wieder zusammengeflickt. Die Generatoren scheppern ohrenbetäubend über den Ozean. Die Luft voller Diesel. Ein Arbeitsplatz wie ein Alptraum. Der Mann im zerrissenen Neoprenanzug wird gleich in die Tiefe gleiten. Haryono war früher einmal Fischer, wie alle hier. Aber der Zinn-Boom hat die traditionellen Metiers komplett zerstört. Haryono, Zinn-Taucher, schildert: "Meine Familie hat Angst um mich. Aber was bleibt uns anderes übrig. Ich muss den Job machen. Wir können sonst nicht überleben." Ein Blick sagt mehr als tausend Worte.

Flöße an der indonesischen Insel Bangka.
Der Zinnabbau zerstört die indonesische Insel Bangka. | Bild: SWR

Ein Opfer gibt es schon jetzt. Und zwar jeden Tag aufs Neue: Das Meer. Das Wasser wird schwarz wie die Nacht – vom aufgewirbelten Sand. Wie mit einem Strohhalm saugen die Taucher den Meeresboden ab. Auch Fische, Krebse, Muscheln. Korallen, Algen, Seegras. Das Meer stirbt einen langsamen Tod. Oben auf dem Floß kommt an, was von der einzigartigen Unterwasserwelt übrig ist: eine braune Brühe - in der sich nur noch eins versteckt: das kostbare Zinn. Haryono, Zinn-Taucher, erläutert: "Wenn wir es nicht sofort finden, gehen wir ein Stück weiter. Oder wir graben einfach tiefer. Zinn wird es hier immer für uns geben." Wie lange wird der ungezügelte Rausch nach Zinn noch währen? Die Vorräte sind irgendwann aufgebraucht, warnen selbst die Behörden. Und was dann? Touristen werden sich nach Bangka so schnell nicht verirren - in diese Wüste aus Stein und Kratern. Das Wiederaufforsten ist fast überall gescheitert. Der Boden ausgelaugt, die Flüsse mit Chemikalien vergiftet. Selbst die wenigen Naturschutzgebiete auf Bangka werden hemmungslos ausgeräubert. Auf der Suche nach Zinn und ein paar Rupiah.

Am Abend werden die Säcke mit dem Schwermetall an die Zwischenhändler verkauft. "Ich bin zufrieden. Mit der Ausbeute", sagt Rusilawati, die Eigentümerin der Mine. "Wir haben in den letzten Tagen fast 200 Kilo rausgeholt." Bangka – eine ganze Insel, wie zerknüllt und weggeworfen. In der Dämmerung verlässt das Zinn den Hafen von Bangka. Für die kostbare Fracht riskieren hier Menschen ihr Leben, sterben Korallen, grüne Wälder.

Und noch etwas: für jeden, der einmal auf Bangka war, stirbt die unbeschwerte Euphorie, die Vorfreude auf ein neues Telefon.

Philipp Abresch, ARD Singapur.

Stand: 05.01.2015 09:23 Uhr

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