So., 23.11.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Südafrika: Schwere Jungs machen Theater
Carmen Smith, Schauspielerin im Theaterstück, auf der Bühne: "Bitte komm nach Hause Mama, komm zurück zu deinen Kindern. Die bunten Bilder an der Wand können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies oft genug ein grauer, trauriger Ort ist. Pollsmore Prison, bei Kapstadt: Für die nächsten zweieinhalb Jahre das "zu Hause" für Carmen. Wegen Diebstahl und Betruges sitzt sie ein. 12 Quadratmeter - 3 Häftlinge – null Privatsphäre.
Carmen Smith, Gefängnisinsassin, zeigt auf ein Tablett mit einem Sandwich: "Sie nennen das einen Laptop. Das ist mein Mittagessen." Das Schlimmste aber: Der Gedanke an ihre drei Kinder Sie sagt: "Mein Sohn sagt zu mir: Ich weine mich in den Schlaf, Mama, ich wünschte, ich würde sterben. Und so fühle ich mich auch: Ich vermisse meine Familie so sehr, dass ich mir oft wünsche, nicht wieder aufzuwachen."
Das hier – sei ihr Lichtblick, sagt Carmen: Die Proben zum Theaterstück "Help I am free". "Hilfe, ich bin frei." 4 Monate lang haben die Häftlinge das Drehbuch geschrieben, Texte gelernt und geprobt, In wenigen Tagen werden sie ihre Geschichten in Kapstadts größtem Theater aufführen. Die Schauspielerei soll aber mehr sein als reine Beschäftigungstherapie. Im besten Fall soll es sie davon abhalten, wieder in den Knast zu kommen, rückfällig, kriminell zu werden.
Carmen Smith erklärt: "Es ist nervenaufreibend. Wir erzählen hier unsere persönliche Geschichte und durchleben Situationen noch einmal, die wir auch jeden Tag im Gefängnis durchstehen müssen. Das Schauspielen ist fast eine Art heilsamer Balsam für die meisten von uns." Ayanda Tunce spricht auf der Bühne: "Ich bin Ayanda Tunce, ich bin 29 Jahre alt und war 4 Jahre im Gefängnis wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Jetzt bin ich auf Bewährung draußen. Aber Versuchungen lauern überall."
"Draußen" – das ist hier: Mfuleli, ein Township am Rand von Kapstadt. Hierhin kommt er nach den Theaterproben. Die Hütte hat er selbst gezimmert, als er letztes Jahr aus dem Gefängnis kam, er sagt: "Hier gehör‘ ich hin. Das ist mein Dach über‘m Kopf!". Seine Schwestern – gestorben, als er im Knast war. Das war der Weckruf – niemals will er zurück ins Gefängnis. Das hat Ayanda sich geschworen. "Sein Leben umzukrempeln ist hart. Vielleicht schaff ich's nicht. Aber bisher zieh ich durch, was ich mir geschworen habe."
Seit eineinhalb Jahren ist Ayanda nun draußen. Und "sauber" wie er sagt. Das Theater spielen habe ihm dabei geholfen. Es gibt ihm eine Perspektive und einen geregelten Tagesablauf. Denn einen Job hat er – wie die meisten in seinem Township – nicht. Oft weiß Ayanda nicht, woher er das Geld nehmen soll, für etwas zu essen. Früher zog er dann mit der Waffe durch die Gegend. Hat Leute überfallen und ausgeraubt. Doch das sei jetzt vorbei. Ayanda erklärt: "Naja, wenn ich hungrig war und ich hatte nichts. Und dann kamen die falschen Leute an und überreden mich. Und dann hab ich der Versuchung nachgegeben und hab mir die Waffe genommen."
Heute spielt Ayanda stattdessen Theater. An diesem Abend im "Artscape", auf einer der berühmtesten Bühnen Kapstadts. Premierenstimmung. "Endlich!" seufzt sie. Auf diesen Tag haben die Häftlinge nun fünf Monate hingearbeitet. Der Projektleiter ist überzeugt, dass Theaterspielen das richtige Werkzeug ist, um sie wieder auf die Gesellschaft außerhalb des Gitters vorzubereiten.
Terje Halsvik, Regisseur und Sozialarbeiter im Projekt "Help I am Free", meint: "Das wird sie davon abhalten, dieselben Taten wieder zu begehen, wenn sie freikommen. Sie lernen hier zu kommunizieren und sie bauen Selbstbewusstsein auf, weil sie sehen, dass sie etwas erreichen können. Sie nehmen das Gefühl mit: Ich kann etwas. Ich kann einen Job bekommen, als Handwerker oder Busfahrer. Es geht."
Ayanda, Carmen und die 11 anderen Schauspieler aus dem Gefängnis – auf der Bühne verarbeiten sie ihre Geschichten. Die vom Bereuen, die vom Alleinsein, die von der Angst, rückfällig zu werden oder nicht mehr in die Gesellschaft zu passen. Ayanda nach der Aufführung: "Die Show hat sich soooo großartig angefühlt!"
Carmen sagt: "Ich bin an dem Projekt gewachsen. Ich bin so viel selbstbewusster. Ich war am Boden, als ich verurteilt wurde. Dachte, das war‘s jetzt. Draußen gibt es kein Leben mehr für mich. Aber das war so eine tolle Erfahrung." Ein kurzer Moment von Freiheit, den sie mitnehmen wollen, wenn sie später zurückkehren in ihre Zellen.
Ein Bericht von ARD-Korrespondentin Joana Jäschke.
Stand: 24.11.2014 13:24 Uhr
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