Mo., 28.09.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Taiwan: Mit Drill und Druck – die Kleinsten müssen spuren
Schon morgens um acht hüpft der sechsjährige Bo-Han gegen sich selbst um die Wette. Aktiv sei er ja schon immer gewesen, seufzen die Eltern, aber auch sehr frech und so unruhig: "Zu unserer Zeit war die Erziehung viel strenger, aber auch gut. Bis Ende der 1980er-Jahre galt in Taiwan noch Kriegsrecht. Wir waren braver, hatten aber mehr Biss. Jetzt sind die Kinder zwar lebhafter, aber nur sehr schwer zu belehren", sagt Vater Lu Long-Feng.
Der "Albert-Kindergarten" soll es richten
Als Bo-Han mit vier Jahren Krawall macht und andere Kinder verprügelt, ruft die Mutter ihr "Kriegsrecht" aus. Sie durchkämmt die Millionenstadt Taichung und stößt auf den "Albert-Kindergarten", der so heißt, weil hier alle Kinder mal so schlau werden sollen wie Albert Einstein. Hier führt Leiterin Fong Yun-I ein strenges Regiment: "Die Erziehung in Taiwan ist zu weich. Die meisten Eltern wollen nur, dass ihre Kinder gut essen und Aufsicht haben. Wer meinen Erziehungsstil nicht mag, der kann gern woanders hingehen."
Weil das Fernsehen da ist, kommt der Sonntagsanzug raus: die Tarnuniform. Das gefällt Bo-Han und der Truppe. Und dann wird auch schon zum Angriff getrommelt: Ein bisschen Drill sei frischer Wind fürs Hirn, so die Chefin. So geht das dann zwei Stunden lang – jeden Morgen.
Wer zu nett ist, tut seinem Kind keinen Gefallen
Und Frau Fong sieht, dass es gut ist. Gegen Kritik hilft ihr ein gefestigtes pädagogisches Weltbild: "Wer zu nett ist, tut seinem Kind keinen Gefallen. So erlangen Kinder nicht die Kompetenz, später für sich selbst zu sorgen. Sie leisten dann keinen Beitrag zur Gesellschaft, verschwenden nur ihre Möglichkeiten – und die unseres Landes." In seinen ersten Tagen hier hat Bo-Han nur geheult – und dann aus Frust die Leiterin geschlagen. Frau Fong sagt, sie habe einfach zurückgeschlagen. Seitdem sei der Junge in der Spur: "Ja, mir gefällt es hier", sagt Bo-Han. "Ich mag den Salto rückwärts und das Spielzeug. Ich möchte einmal Tierarzt werden und Katzen retten."
Fast 4.000 Euro im Jahr, das Zehnfache eines staatlichen Kindergartens, kostet hier der Dienst am Kind. Hornhaut, Kratzer, blaue Flecke inklusive. "Bevor ich hergekommen bin, juckte es sehr an meiner Haut und ich musste viele Medikamente nehmen. Jetzt mache ich viel Sport, und es juckt nicht mehr so", erzählt die kleine Ji Qian-An.
Kein Leerlauf im Kindergartenalltag
70 Kinder hat Frau Fong unter der Fuchtel, und die Warteliste ist lang. Vor der Zwischenmahlzeit wird gebetet, alles hat Struktur. Es gibt ein taiwanisches Teeei. Und später, nach dem Mittagessen, wird der ganze Laden auf Vordermann gebracht – täglich und selbstständig. Da muss man doch tierisch müde sein? "Nö", sagen die Kinder. Und dann kommt das Sandmännchen zur Mittagsruhe. Weckruf ist dann mit Musik. Chiu Tzu-Lin hat in Deutschland Harfe studiert, jetzt bringt sie ihren Zöglingen die Flötentöne bei: "Ich habe nicht viel Zeit. Sie müssen mir zuhören, wenn sie hier reinkommen. Sie wissen, was sie zu tun und zu lassen haben. Und wenn sie nicht spuren, schreie ich sie an." Dazu lernen die KInder Englisch, Japanisch, Deutsch und Kunst. Leerlauf gibt es nicht. d´Die letzte Energie geht dann beim Taiko-Trommeln drauf.
Ein 14-Stunden-Tag
Kindergartenleiterin Fong Yun-I managt auch noch den taiwanischen Taiko-Verband. Zum Feierabend dann das – hoppla – milde Mantra der Frau mit Biss: "Erziehung heißt: Viel Liebe, und seid Vorbild!"
Bo-Hans Mutter Xiu-Qi versucht es. Und der Junge hat noch Programm: Fußball, duschen, Hausaufgaben. Halb zehn geht es ins Bett – ein 14-Stunden-Tag.
Autor: Uwe Schwering, ARD-Studio Tokio
Stand: 09.07.2019 11:41 Uhr
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