Diyarbakir – eine Stadt unter Beschuss

Weltspiegel: Diyarbakir, eine Stadt unter Beschuss.
Seit mehreren Monaten bekämpfen sich türkische Sicherheitskräfte und Kämpfer der PKK in Diyarbakir.  | Bild: BR

Militärfahrzeuge auf den Straßen, Explosionen, manchmal im Minutentakt, und Straßensperren an jeder Ecke: So begrüßt uns die Stadt Diyarbakır im Südosten der Türkei. Schon am Flughafen macht sich die unheimliche Atmosphäre bemerkbar und wir erahnen bereits was uns erwartet. Der Taxifahrer, der uns ins Zentrum bringt, spricht nur von der "Situation", mehr will er dazu nicht sagen. Zu groß ist die Angst, ein falsches Wort zu benutzen – und in den Verdacht zu geraten, gegen die Regierung zu sein.

Denn seit mehreren Monaten bekämpfen sich in Diyarbakır türkische Sicherheitskräfte und Kämpfer der verbotenen Arbeiterpartei PKK. Die historische Altstadt Diyarbakırs, genannt Sur, ist in bestimmten Teilen komplett von der Außenwelt abgeriegelt. Dort finden die Gefechte statt. Durchgängige Ausgangssperren – und das seit über drei Monaten.

Zivilisten mitten im Kampfgebiet

Menschenrechtsorganisation kritisieren das scharf: Befinden sich doch in der Sperrzone noch immer Zivilisten. Wieviele genau weiß man nicht, oft ist die Rede von 150-200 Menschen, darunter auch Kinder.

Mehrere Male wurde auf Anordnung des Gouverneurs ein Korridor im Sperrgebiet eröffnet. Für 90 Minuten herrschte dann Feuerpause, damit Zivilisten das Kampfgebiet verlassen können. Bei einer dieser Waffenruhen sind auch wir vor Ort, zusammen mit einigen türkischen Journalisten. Die meisten von ihnen bezweifeln, dass heute jemand raus kommt. Zu groß sei die Angst, doch angeschossen zu werden – oder von der Regierung als mutmaßlicher PKK-Kämpfer abgestempelt und verhaftet zu werden.

Und tatsächlich: An diesem Tag kommt niemand raus. Die türkische Regierung deutet das als ein Zeichen, dass nur noch Kämpfer im Sperrgebiet sind, die sich nicht ergeben wollen. Eine aussichtslose Situation.

Filmen mit Auflagen

Für all unsere Dreharbeiten, vor allem in der abgesperrten Altstadt, brauchen wir eine Sondergenehmigung – doch die ist nicht einfach zu bekommen. Ohne sie geht jedoch nichts: Die Altstadt ist voller Checkpoints, an jeder Ecke werden wir kontrolliert. Auch im Rest der Stadt befinden sich viele Polizisten, oft in zivil, die uns, wenn wir filmen, schnell zurecht weisen.

Bevor wir in die Altstadt dürfen, klärt man uns auf, was wir filmen dürfen und was nicht. Polizisten, Checkpoints und Militärfahrzeuge sind tabu. Also sehen wir uns in dem Teil um, in dem keine Absperrungen sind. Anwohner sprechen uns an, wollen uns ihr Leid mitteilen, bitten Europa um Hilfe. Es sind nur noch wenige Menschen da geblieben. Viele der ehemals 75.000 Bewohner sind in benachbarte Bezirke oder in andere türkische Städte geflohen. In manchen Teilen ähnelt Sur einer Geisterstadt: Viele Häuser stehen leer, sind kurz vor dem Zerfall, Geschäfte und Schulen bleiben geschlossen.

Gegenseitiges Misstrauen

Je näher wir den Sperrgebieten kommen, desto angespannter wird die Atmosphäre: Polizisten beobachten uns, Menschen trauen sich nicht mehr mit uns zu reden, das Filmen wird immer schwieriger. An unserem letzten Dreh-Tag bekommen wir sogar drei Aufpasser an die Seite gestellt. Sie laufen hinter uns her, an jedem Checkpoint – alle 50 Meter – müssen wir anhalten, damit unsere Begleiter Bericht erstatten können. Das Arbeiten ist für uns kaum mehr möglich.

Im Hintergrund ist ständig der Hall der Explosionen zu hören. Man gewöhnt sich schon fast daran, niemand zuckt mehr, wenn eine Bombe hochgeht oder eine Kalaschnikow ihre Munition abfeuert. Für die Bevölkerung ist das mittlerweile Normalität.

Ein Satz während unseres Drehs in Diyarbakır bleibt bei uns besonders hängen. Er fällt auf dem Rückweg zum Flughafen, als unser Taxi vom Militär kontrolliert wird. Unser Taxifahrer seufzt und fragt sich: "Wann werden diese Kontrollen aufhören? Wann werden wir Menschen uns hier wieder gegenseitig vertrauen?"

Von Katharina Willinger und Gülseren Ölcüm

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