So., 09.02.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Türkei: Frieden mit der PKK?
Leichtigkeit und gute Laune - das verbreitet der sogenannte "Lindy Hopp", ein Swingtanz. Rojhat tanzt seit fast drei Jahren hier in Diyarbakir mit. Als wir Rojhat vor einem Jahr kennenlernen, ist diese Tanzgruppe einer der wenigen Orte für ihn als Kurden in der Türkei, an dem er sich sicher fühlt.
Wie viele junge Kurden denkt er damals übers Auswandern nach, weil es außerhalb der Tanzbühne schwierig für ihn ist, sagt der 31-Jährige. Man habe in der Türkei als junger Mensch viele Probleme. Die Wirtschaft ist eines, das Kurdisch-Sein ein anderes.
Ein Weg zum Frieden – und aus der Diskriminierung?
Was würde ein Friedensprozess für junge Kurden wie Rojhat bedeuten? Sein Gefühl der Ausgrenzung teilen hier in Diyarbakir viele.
Kurdisch zu singen und zu sprechen ist zwar nicht verboten, aber Amtssprache ist es auch nicht. Die mangelnde Gleichstellung sei ein Problem – manche fühlen sich allein durch ihr Kurdisch-Sein kriminalisiert, denn seit den 1980er Jahren schwelt ein blutiger Konflikt zwischen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem türkischen Staat. Immer wieder eskaliert die Gewaltspirale.
Ein neuer Friedensprozess könne die Situation verbessern. Angestoßen wurden die neuen Gespräche ausgerechnet durch einen Ultra-Nationalisten: Devlet Bahceli, Koalitionspartner von Erdogan, der sich selbst bisher öffentlich zurückhält.
Nun wird wieder verhandelt mit Öcalan, Gründer und Chef der PKK. Seit 1999 sitzt er in Haft. Vertreter der pro-kurdischen DEM-Partei durften ihn nun zweimal im Gefängnis besuchen - und berichten von seiner grundsätzlichen Bereitschaft zur Waffenniederlegung aufzurufen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es diesmal klappen könnte, sei da, glaubt der Soziologe Reha Ruhavioglu. Auch weil sich die Kräfteverhältnisse im Nachbarland Syrien verändert haben – denn dort ist eine kurdische Enklave entstanden. Die Türkei hat sie bisher bekämpft. Ein möglicher Deal wäre: Die Türkei toleriert das zukünftig, wenn die PKK dafür in der Türkei die Waffen niederlegt.
Viele Opfer des Konflikts
Ein Frieden könnte ihnen ihr Kind zurückbringen: Fatma und Sevket Bingöls Sohn Tuncay verschwand im Dezember 2014. Fatma findet damals einen Zettel in der Tasche des damals 14-Jährigen: „Ich gehe in die Berge“ steht darauf, ein Ausdruck, sich der PKK anzuschließen. Seither hat die kurdische Familie kein Lebenszeichen mehr von ihm.
Die Eltern sind überzeugt: der 14-Jährige wurde überredet, sie sprechen sogar von Entführung. Sie selbst unterstützen die Regierung um Erdogan und hoffen, dass der bewaffnete Kampf ein Ende hat.
Fast ein Jahr nach unserem ersten Treffen, besuchen wir Rojhat wieder, den Hobbytänzer. Hat der sich andeutende Friedensprozess bei ihm ein Umdenken bewirkt? Er sagt: Wenn sich für ihn als Kurde wirklich etwas im Alltag ändert, würde er gerne in seiner Heimat bleiben. Noch hat er Zweifel.
Ungewissheit über das, was kommt, und die Frage, ob die Türkei tatsächlich vor einem historischen Schritt steht.
Katharina Willinger, ARD Istanbul
Stand: 09.02.2025 23:46 Uhr
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