Mo., 10.04.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Türkei: Der starke Mann in Ankara
Der Istanbuler Stadtteil Kasimpasa – nicht die erste Adresse der Stadt am Bosporus. Und doch: Dieses Istanbuler Viertel hat den derzeit größten Sohn des Landes hervorgebracht – Präsident Recep Tayyip Erdogan. Hier ist er aufgewachsen und hierher kehrt er ab und an zurück, zu Yasar Ayhan - zum Haareschneiden…
Yasar Ayhan: "Erdogan hatte schon immer einen eigenen, einen besonderen Stil, Charisma eben! Nur so konnte er es von hier, von Kasimpasa aus, zu einem Weltpolitiker bringen!"
Der 1954 Geborene wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Er wollte Profifußballer werden, was sein Vater aber nicht billigte. Stets fühlte er sich deshalb "als Mann des Volkes" – bis heute sein Markenzeichen!
Aufstieg als Bürgermeister Istanbuls
Erdogans erster Schritt auf die große politische Bühne: Die Wahl zum Bürgermeister Istanbuls im Jahre 1994. Durch Bauprojekte gelingt es ihm breite Sympathien in der Stadtbevölkerung zu gewinnen, sich als "Macher" zu profilieren. Dieses Image nimmt er mit nach Ankara, ab 2003 in das Amt des Ministerpräsidenten. Erdogan betont seither einerseits die nationale Größe seines Landes, andererseits aber auch die Bedeutung des Islam für die Politik. Deshalb sieht er sich nicht nur als Nachfolger von Staatsgründer Atatürk, sondern zunehmend auch als dessen Gegenspieler.
Kritische Stimmen sind seine Sache nicht. Für "Reporter ohne Grenzen" ist die Türkei schon seit Jahren zum Problemfall geworden, was der Präsident aber nicht wahrhaben will…
Recep Tayyip Erdogan, Präsident Türkei: "Nirgends auf der Welt ist die Presse so frei wie in der Türkei! Das behaupte ich ganz kühn!"
Macht, Größe, Repräsentation
Der Präsident und die Macht: sein gerade mal zwei Jahre alter Palast in Ankara macht dieses besondere Verhältnis augenfällig. Sechsmal so groß wie das Weiße Haus in Washington ist er. Die Formensprache: Osmanisch oder sultanisch. Demokratische Bescheidenheit: Fehlanzeige! Staatsgäste aus dem Ausland macht Erdogan gerne zu nicht ganz freiwilligen Teilnehmern einer Inszenierung aus 1001 Nacht, auch wenn die sich dabei nicht unbedingt wohl fühlen…
Präsident Erdogan gilt als geborener Wahlkämpfer. Selbst, wenn die Stimme nicht mehr mitspielt, aufgeben kommt für ihn nicht in Frage…
Seit 14 Jahren lenkt Erdogan die Geschicke der Türkei, die letzten drei davon als Präsident. Ein Jahrzehnt lang galt er auch in den USA und in Europa als Hoffnungsträger, als Demokratisierer und "Vater eines Wirtschaftswunders". Verdreifachte sich doch die Wirtschaftskraft seines Landes unter seiner Ägide. Die Türkei wurde zum "China vor den Toren Europas".
Breiter Wohlstand
Viele türkische Staatsbürger schafften in dieser Zeit ihre persönliche wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Die Zahl der Autos zum Beispiel ist im letzten Jahrzehnt regelrecht explodiert. Trotz aktuell hoher Arbeitslosigkeit und Inflation, trotz schwächelnder Währung: Viele Angehörige des Mittelstands glauben weiterhin, Erdogan ihren Wohlstand zu verdanken.
Dengir Mir Mehmet Firat ist ein langjähriger politischer Wegbegleiter Erdogans. Er hat dessen Partei mitbegründet, kennt aus nächster Nähe Stärken und Schwächen des Präsidenten – und seine Veränderungen. Vor drei Jahren ist er aus der AKP ausgetreten: "Wenn es einem Land an demokratischer Tradition fehlt, und die gesetzlichen Grundlagen nicht wehrhaft sind, dann kann das leider dazu führen, dass derjenige, der die Macht hat, sich daran regelrecht vergiftet! Ein Ja am 16. April würde die Türkei endgültig in ein Chaos stürzen!"
In einer Woche bestimmen die türkischen Wähler, ob der starke Mann in Ankara noch stärker wird. Der 16. April, er könnte zum Schicksalstag für Präsident Erdogan werden.
Autor: Michael Schramm, ARD Istanbul
Stand: 14.07.2019 09:43 Uhr
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