Mo., 10.04.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Türkei: Die kurdischen Dorfschützer
Ein M16-Sturmgewehr – Ismet sucht nach PKK-Kämpfern. Er ist der Chef einer paramilitärischen Einheit im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, einer von mehreren 10.000 sogenannten Dorfschützern. Der türkische Staat setzt vor allem Kurden für die heikle Aufgabe ein. Sie sollen gegen Milizen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgehen. Diese verstecken sich gerne in der schwer zugänglichen Bergregion, um von dort türkische Sicherheitskräfte anzugreifen.
Ismet Tasci erzählt, wenn die Dorfschützer nicht hier wären, hätte die PKK viel leichter Zuflucht finden können. Es habe heftige Kämpfe in der Vergangenheit gegeben, 21 Dorfschützer seien gefallen. Jetzt hätte man die Lage unter Kontrolle.
Umstrittene Dorfschützer
Bei vielen Kurden sind Dorfschützer umstritten, gelten sogar als Verräter. Die kurdisch geprägte Mehrheit im Südosten dürfte beim Referendum nach Umfragen mit Nein stimmen. Dorfschützer hingegen bekämen Geld vom Staat und seien Präsident Erdogan treu ergeben, erklärt mir Ismet: "Wir als Dorfschützerfamilien werden mit Ja, Ja und noch Mal Ja stimmen."
Vor drei Jahren wollte die türkische Regierung das System Dorfschützer auslaufen lassen. Damals verhandelte Ankara einen Frieden mit der PKK. Jetzt, nach heftigen Kämpfen in den letzten Monaten, sollen 25.000 neue Dorfschützer rekrutiert werden.
Andernorts, aber immer noch im Südosten der Türkei, haben die hier lebenden türkischen Christen jedoch keine gute Erfahrung mit Dorfschützern gemacht: Diese aramäische Kirche sei von Soldaten und Dorfschützern geschändet worden, sagen Aziz und sein Sohn Ishok. Die Gemeinde liegt in den 90er Jahren auf einer Frontlinie zwischen der türkischen Armee und der PKK. Deshalb fliehen die Christen nach Europa. Als sie etwa zehn Jahre später zurückkommen, ist der Schock groß. Ishok Demir zeigt: "Sie sehen hier eigentlich auch, das sind alles so Schriften, die nichts Schönes bedeuten. Es sind schlimme Sachen. Es sind Beleidigungen und hier auch ein Hakenkreuz, das ist ganz typisch, was damit gemeint ist. Es sind Totenköpfe hier geschmiert. Die Steine sind auf den Boden geschmissen. Der Altar hinter mir ist komplett zerstört. Hier sehen Sie, wie die Kirche früher ausgesehen hat."
Kritik an Paramilitärs
Fast alle Häuser hier in Kafro wurden geplündert und zerstört. Anfang der 2000er Jahre kommen die Christen zurück, bauen das Dorf neu auf. Aziz ist Bürgermeister in Kafro. Er lehnt das System Dorfschützer nach all seinen negativen Erfahrungen ab. Aziz Demir, Bürgermeister in Kafro: "Wir haben einen Staat, wir haben Soldaten. Wofür braucht man Dorfschützer? Die bekommen ein Gehalt. Warum? Wenn man das von einer anderen Seite betrachtet, sieht man, der Staat macht hier Politik: Kurden sollen andere Kurden bekämpfen. Deshalb gibt es Dorfschützer."
Schießübungen für den Ernstfall: Ismet und seine Männer können die Vorwürfe aus Kafro nicht nachvollziehen: Die PKK und ihre Verbündeten wollen Dorfschützer schlecht reden, um ihren Spielraum zu vergrößern, so Ismet: "Sie hassen uns, weil wir auf der Seite des Staates stehen. Wir aber sind stolz darauf."
Wenn Dorfschützer im Kampf fallen oder in Rente gehen, bietet der türkische Staat deren Söhnen an, als Paramilitär den Krieg gegen die PKK weiterzuführen. Wer gut und wer böse ist, weiß der Nachwuchs offenbar ganz genau: "Die PKK, die töten Menschen und Kinder. Die stehlen Organe und verkaufen sie."
Ismet stellt klar: Frieden hier im Südosten wird es erst geben, wenn die PKK vernichtet ist.
Autor: Oliver Mayer-Rüth, ARD Istanbul
Stand: 14.07.2019 09:43 Uhr
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