Mo., 20.03.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Tunesien: Europas Grenzschützer
Irgendwo da hinten verläuft Tunesiens Grenze mit Libyen, erklärt uns Armee-Kommandant Moktar Boudhina, keine Sorge, wir haben alles im Griff. "Tag und Nacht gibt es Patrouillen, auch um sicherzustellen, dass unser Barrieren-System funktioniert."
Die "Barriere", eine Mischung aus Mittelalter und Hi-Tech
Und dann zeigen sie uns die "Barriere" – gemeint sind damit ein Sandwall und ein tiefer Graben, die an der Grenze zu Libyen errichtet wurden, auf fast 300 Kilometer Länge. Ein Schutz gegen Schmuggler und Terroristen aus dem Nachbarland. Die Bauarbeiten sind fast abgeschlossen, nun soll noch elektronisch aufgerüstet werden. Die "Barriere", das ist eine Mischung aus Mittelalter und Hi-Tech. "Ich bin sicher, dass wir mit diesem System eine bessere Kontrolle über die Grenze haben, und so ein illegales Eindringen verhindern können", sagt Moktar Boudhina.
Vor einem Jahr noch hatte der Islamische Staat den Grenzort Ben Guerdane überfallen – die Jihadisten waren durch die Wüste gekommen und hatten die Stadt angegriffen, auch das Haus von Hamid El Echi.
Der alte Mann erzählt, dass er sich mit seiner Familie noch retten konnte – dann verbarrikadierten sich die Terroristen in seinem Haus. Es war der 7. März 2016. Ein Kalifat wollten die Terroristen auf tunesischem Boden errichten, doch sie wurden zurückgeschlagen. Mindestens 55 Menschen starben an diesem Tag. "Meine Familie ist bis heute von diesem Ereignis traumatisiert – meine Frau und Töchter möchten nie mehr in dieses Haus zurückkehren. Es war schrecklich", erzählt Hamid el Echi.
Die Grenze bleibt fragil
So etwas sei heute nicht mehr möglich, versichern uns die Militärs. Bei der Ausrüstung bekommen sie massive Unterstützung von den USA und Deutschland. Aber auch das findet sich weiterhin in der Wüste – ausgebrannte Autos, vom Militär in letzter Minute gestoppt. Die Grenze bleibt fragil – ohne technische Hilfe aus dem Westen wären die Tunesier wohl überfordert. "Radarsysteme, Wärmekameras, solche Geräte, die wir von den amerikanischen und deutschen Freunden bekommen, sind sehr wichtig. Nur so können wir unser Überwachungssystem verbessern", erklärt Moktar Boudhina.
Im Westen Tunesiens findet diese Hilfe aus dem Ausland besonders intensiv statt.
Ein tunesischer Grenzschützer tastet sich vorwärts, aufmerksam von einem Beamten der deutschen Bundespolizei beobachtet.
Seit mehr als einem Jahr bilden deutsche Polizeikommissare ihre tunesischen Kollegen darin aus, wie sie sich in freiem Feld besser vor bewaffneten Feinden schützen können. Noch vier Jahre läuft das millionenschwere Programm. Den Tunesiern fehle es vor allem an guter Ausrüstung, sagen die deutschen Beamten.
Tunesien soll stabilisiert werden
"Sie haben einen guten Ausbildungsstand, und das, was wir ihnen hier zeigen, sind einige Verfahrensweisen, wie man auf verschiedene Situationen reagieren kann", berichtet Polizei-Hauptmeister Ivo Pungar. Früher hieß es: Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, nun gilt das wohl auch für Nordafrika. Tunesien soll stabilisiert werden. Neben Know-how und technischer Ausrüstung geht es auch um Werte. Denn Tunesiens Polizei wird immer wieder wegen Willkür und Übergriffen kritisiert.
"Ein wesentlicher Punkt ist eben auch die Wahrung der Menschenrechte zu vermitteln. Das ist nicht immer einfach. Da herrscht oft ein völlig anderes Denken, aber wir sind da auf einem guten Weg, und werden auch in diesem Bereich immer kontrollieren, wie es in der Praxis angewandt wird", sagt Johannes Parzer, Polizeidirektor.
In der Hauptstadt Tunis hat die deutsche Besuchsdiplomatie stark zugenommen. Innenminister DeMaziere kam vor einem Jahr, Bundeskanzlerin Merkel vor zwei Wochen. Die Bundesregierung lobt dann regelmäßig die demokratischen Fortschritte. Gleichzeitig will man das Land als strategischen Partner in Nordafrika.
Grenzsicherung richtet sich gegen Terroristen
Der Publizist Sofiene Ben Farhat erkennt an, dass sich Tunesiens Sicherheitslage durch die Zusammenarbeit verbessert habe. Aber er sieht die Gefahr, dass von seinem Land inakzeptable Gegenleistungen verlangt werden. "Es wird schon registriert, dass es von der Kanzlerin Merkel Vorschläge gegeben hat, die Tunesien zu einem Gendarm machen wollen, um etwa die illegale Migration einzudämmen. Tunesien wird aber nicht die Rolle eines Gendarms für Europa spielen."
Die deutsche Bundespolizei sieht ihre Arbeit technisch als Beitrag zur Grenzsicherung – das richte sich gegen Terroristen, nicht gegen Flüchtlinge. "Tunesien ist auch kein Transitland, es liegt nicht auf der Strecke der zentral mediterranen Route, insofern ist die Zielrichtung des Projektes eindeutig auf der Stabilisierung der Strukturen hier ausgerichtet, es geht nicht um Migrationsbekämpfung", meint Johannes Parzer.
Aber Tunesien wird für Europa als Partner immer wichtiger. Das zeigt sich vor allem an der Südgrenze. Wenn das Nachbarland Libyen weiter im Chaos versinkt, dann hat das Folgen für Tunesien, für den ganzen Maghreb und eben auch Europa.
Autor: Stefan Schaaf / ARD Studio Madrid
Stand: 14.07.2019 04:27 Uhr
Kommentare