So., 07.04.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Tunesien: Eine Frau für die Hauptstadt
Bei Ortsbesichtigungen ist sie in ihrem Element: Souad Abderrahim, die Bürgermeisterin von Tunis, gibt schnell ein paar Anweisungen: der Bürgersteig soll breiter werden, etwa so, meine Herren. Und gleich geht es weiter auf den Markt von Sidjoumi, einem ärmeren Viertel. Souad Abderrahim regiert als erste Frau eine Hauptstadt in der arabischen Welt, für manche immer noch eine Sensation.
Doch die meisten Menschen interessiert eher: was kann Frau Bürgermeisterin für mich tun. Jeder sucht das Gespräch mit ihr, will eine Genehmigung, einen Termin oder fragt nach einem Job.
Jeder Tag eine Bewährungsprobe
Die erste Frau im Amt bekommt keine Vorschuss-Lorbeeren, sie muss liefern: Tunis ist eine Metropole, die aus allen Nähten platzt – die Hauptstadt zieht immer mehr Menschen an.
Seit knapp einem Jahr kümmert sich nun eine Frau im Rathaus um diese Probleme, und sie kümmert sich bis hin zur Auswahl der Straßenbeleuchtung. Souad Abderrahim will praktische Dinge angehen: das Müllproblem, den Verkehr. Ihr ist bewusst: dass sie es als Frau zum Stadtoberhaupt geschafft hat, ist auch für das liberale Tunesien ein Quantensprung.
Der Aufstieg der 54-Jährigen war auch überraschend, weil sie es als Kandidatin der Ennahda-Partei geschafft hat, den Islamisten in Tunesien. Eine moderne, weltoffene Politikerin ohne Kopftuch auf der Liste der Islamisten – das widersprach so ganz dem Bild einer Partei, die von Männern mit Bärten regiert wird.
Vorbehalte gegenüber der Bürgermeisterin
Tunesiens Zivilgesellschaft sieht die erste weibliche Bürgermeisterin mit gemischten Gefühlen. Vor dem Gerichtshof erzählt uns die Anwältin Fadoua Braham von ihrem Misstrauen gegenüber der islamischen Ennahda-Partei: Zwar habe die sich offiziell vom politischen Islam verabschiedet und nenne sich nun muslim-demokratisch, aber in ihren Augen ist das Augenwischerei: "Das ist alles Fassade. Die Ennahda-Partei und die Islamisten in Tunesien sind sehr intelligent, sie haben sich eine Frau ausgesucht, unverschleiert, und wollen damit zeigen: Voilà, wir sind jetzt eine progressive, offene Partei."
Beim Rundgang durch die Medina sagt uns Souad Abderrahim, sie sei solche Kritik gewöhnt. Sie ist eine Frau zwischen allen Fronten, denn auch im konservativen Lager schlägt ihr Skepsis entgegen.
Für die Bürgermeisterin und die Ennahda-Partei bleibt es eine Gratwanderung – bei Veranstaltungen gibt man sich nun weltlich. Die Partei hat die Religion zur Privatsache erklärt – so will man sich Wählerschichten öffnen, die bislang Islamisten gemieden haben. Die neue Bürgermeisterin spielt bei dieser Öffnung sicherlich eine wichtige Rolle.
Diesen Blick auf Tunis hat Souad Abderrahim von ihrem Schreibtisch – sie ist ziemlich weit oben angekommen. Dass sie nur die Quotenfrau für ihre Partei sei, hört sie öfters. Doch die gelernte Pharma-Managerin will durch konkrete Politik überzeugen. Und sie weiß, sie hat schon jetzt Historisches erreicht.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid
Stand: 07.04.2019 23:24 Uhr
Kommentare