SENDETERMIN So., 30.03.25 | 18:30 Uhr | Das Erste

Ukraine: Bei den Ärzten an der Front

Ukraine: Bei den Ärzten an der Front | Bild: SWR

Die Front ist so nahe, dass auch hier unten die Explosionen der Granaten zu hören sind. In einem Keller ist das "Stabilisierungszentrum" eingerichtet. Hier kommen die Soldaten hin, die an der Front verletzt werden. Erstversorgung, um das nackte Überleben zu retten, bis sie dann in ein richtiges Krankenhaus abtransportiert werden können. In den vergangenen Wochen sind die Kämpfe hier besonders intensiv, sagen die Sanitäter. Ein Waffenstillstand würde ihnen eine Atempause verschaffen. Aber nicht um jeden Preis, sagen sie hier ganz nahe an der Front.

Schwierige Evakuierung der Verletzten

Was wie friedlicher Schlaf aussieht und klingt, kann jede Sekunde unterbrochen werden. Wir verbringen die Nacht in einem unterirdischen Feldlazarett, direkt hinter der Frontlinie. Hier werden im Kampf verwundete Soldaten zur schnellen Erstversorgung hergebracht, bevor sie in ein richtiges Krankenhaus evakuiert werden können. Geschlafen wird, wann immer es geht – egal wann, egal wo. Doch in den letzten Wochen ist es hier ruhiger geworden – obwohl die Kämpfe heftiger sind. "Es ist schwer, die Verwundeten überhaupt noch hierher zu bekommen", sagt der Arzt Oleh. "Es dauert inzwischen mehr als eine, zwei oder sogar drei Stunden. Und es kann oft mehrere Tage und sogar Wochen dauern, bis ein Verwundeter rausgeholt werden kann.

Rauchschwaden ziehen über Häuser einer Stadt
Oben wird gekämpft, unter der Erde operiert  | Bild: SWR

Die Situation ist also sehr schwierig. Das liegt vor allem daran, dass ständig FPV-Drohnen angreifen, so gibt es keine Möglichkeit, unsere Soldaten zu evakuieren." Viele würden da draußen sterben, sagt Oleh. Er ist deshalb dankbar für jeden, der es hierherschafft. Dem sie hier helfen können. Denn auch die Stadt über uns ist – wie die meisten Orte entlang der Front – nahezu vollständig zerstört. Alles wird hier von Russland eingesetzt: Drohnen, Raketen, Gleitbomben. Ständig hören wir das gedämpfte Dröhnen von Explosionen.

Massive Gefahr durch russische Drohnen

Die Lebensbedingungen für die Ärzte und Sanitäterinnen sind brutal. Sie alle leben hier, können kaum raus. Zu groß die Gefahr, die Stellung zu verraten oder getroffen zu werden. Doch ihnen geht es vor allem darum, Leben zu retten. Und sie sind dankbar dafür. Weil Mykola und seine Kameraden wissen, dass Sanitäter und Ärzte wie Oleh alles geben, um sie notfalls zu retten, können sie sich besser auf ihre Aufgabe konzentrieren. "Es geht um die maximale Sicherheit der Soldaten", sagt Drohnenpilot Mykola. "Wir achten nicht auf die Ausrüstung, das Eigentum oder so. In erster Linie geht es immer um die Sicherheit der Soldaten. Alles andere rückt in den Hintergrund."

Zwei Soldaten bei einem Auto
Sie setzen im Ernstfall auf die schnelle medizinische Hilfe | Bild: SWR

Aktuell ist die Lage besonders gefährlich. Überall im Frontgebiet fliegen massenhaft russische Drohnen. Mehr als je zuvor. Auch deshalb ist Mykola zurückgekehrt. Der Drohnenpilot wurde im Sommer 2022 schwer verwundet – die Explosion einer Mine riss ihm den linken Fuß und Unterschenkel ab. Mykola konnte rechtzeitig gerettet werden. "Das hat meine kleine Tochter Varvara gemacht. Sie ist vor kurzem fünf Jahre alt geworden. Und sie liebt es, Aufkleber zu kleben." Mykola vermisst sie in jedem Moment, sagt er uns. Dennoch ist er überzeugt, das Richtige zu tun. "Ich will zeigen, dass es auch mit einigen Einschränkungen möglich ist, sehr effektiv zu arbeiten. Weil ich als Beispiel vorangehen will für diejenigen, die zu Hause sitzen und Angst haben zu kämpfen. Aber das ist ehrlicherweise nicht alles. Es geht auch um Rache. Rache für den Verlust meiner Mutter." Eine russische Rakete hat das Haus getroffen, in dem sie in ihrem Heimatdorf lebte. Nach drei Jahren russischer Angriffskrieg gibt es viele solcher Schicksale in der Ukraine. Es gibt zahlreiche Berichte von brutalen russischen Kriegsverbrechen, die Soldaten hier haben selbst einige mit ansehen müssen, sagen sie.

Waffenstillstand oder weiterkämpfen?

"Die russischen Soldaten tun mir nicht leid", sagt Drohnenpilot Ivan. "Ich habe mehr Mitleid mit einem Hund. Manchmal fliegt man in ein Haus mit Arschlöchern und sieht einen Hund. Und der Pilot sagt: 'Verdammt! Vielleicht sollte ich darauf warten, dass der Hund wieder herauskommt?' Ich habe eher Mitleid mit einem Hund als mit den Russen." Der Krieg hat viele Menschen hier und ihr Mitfühlen verändert. Auch Ivan ist vor gut zweieinhalb Jahren auf eine russische Mine getreten. Mit seinen Kameraden diskutiert er, was US-Präsident Trump "Frieden" nennt. Doch für ihn steht fest: Er will so lange kämpfen, bis die Ukraine wieder den Ukrainerinnen und Ukrainern gehört. An einen Waffenstillstand glaubt Ivan nicht, Russland könne man nur mit Stärke und Härte begegnen, davon ist er überzeugt.

Chirurg Oleh
Chirurg Oleh hofft auf einen Waffenstillstand | Bild: SWR

Etwas anders sieht das Arzt und Chirurg Oleh im unterirdischen Feldlazarett. Vielleicht könnte ein Waffenstillstand Raum für Verhandlungen über einen echten Frieden geben, sagt er. Doch auch für ihn ist klar: Am Ende muss die Ukraine ein souveräner Staat bleiben. "Natürlich wollen wir, dass es einen Waffenstillstand gibt. Denn wir wollen nicht, dass unsere Soldaten sterben. Das wollten wir nie. Wir danken der ganzen Welt, dass sie hinter uns steht. Deshalb halten wir durch. Unser Volk ist sehr stark. Wir wollen mit allen Ländern in Frieden leben. Keiner will kämpfen. Wir wollen hier in unserem gottgegebenen Land leben. Deshalb sind wir alle hier, und wir kämpfen für unser Land. Das ist alles."

Ärzte als letzte Hoffnung für die Soldaten an der Front

Plötzlich muss alles hier unten sehr schnell gehen. Einige Ärzte und Sanitäter werden aus dem Tiefschlaf gerissen. Der Soldat ist schwer verwundet: eine offene Kopfwunde, Schrapnell-Verletzungen, also Metallsplitter im ganzen Körper. Besonders heftig am linken Unterarm und Oberschenkel. Er schwebt in Lebensgefahr. Anästhesist und Notfallmediziner Oleksandr koordiniert die medizinische Versorgung. "Er war an den Gliedmaßen verwundet und hatte eine offene Kopfwunde. Ein offenes Schädel-Hirn-Trauma mit einer offenen Verletzung des Schädels und des Gehirns. Es war ein Abwurf von einer Drohne."

Ärzte versorgen verletzten Soldaten
Das Ziel: bereit für den Weitertransport  | Bild: SWR

Plötzlich beginnt der Arm des Soldaten heftig zu bluten. "Wir haben eine Ultraschalluntersuchung gemacht, haben gesehen, dass es einen Fremdkörper ganz nah an der Hautoberfläche gibt und ein angespanntes Hämatom. Wir öffneten die Weichteile am Unterarm, entfernten den Fremdkörper und sofort kam es zu einer aktiven Blutung." Die Arterie ist beschädigt. Oleh legt einen Druckverband an. Nach knapp zwei Stunden ist der Soldat stabil. Er wird in ein Krankenhaus gebracht – weit genug von der Front entfernt. "Ich hoffe, alles wird gut. Es gab schon schlimmere Fälle, aber mit einem besseren Ausgang. Ich denke, alles wird gut." Das Leben im unterirdischen Feldlazarett bedeutet: Langeweile und Stress, Angst und Mut, Leben und Tod. Im Moment sterben an diesem Frontabschnitt besonders viele Soldaten, heißt es hier. Für viele Männer draußen im Feld und in den Schützengräben bleibt der Einsatz der Mediziner ein Hoffnungsschimmer.

Autorin: Susanne Petersohn, ARD-Studio Kiew

Stand: 30.03.2025 21:49 Uhr

1 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 30.03.25 | 18:30 Uhr
Das Erste

Produktion

Südwestrundfunk
für
DasErste