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Ukraine: Hybride Kriegsführung

Ukraine: Hybride Kriegsführung | Bild: IMAGO / Avalon.red

Das Video zeigt einen ukrainischen Soldaten, er raucht eine Zigarette, ist unbewaffnet. Dann sind Schüsse mit automatischen Waffen von mehreren Seiten zu hören. Der Soldat bricht tot unter russischem Feuer zusammen. Ein Kriegsverbrechen? Später wird der Mann als Oleksandr Mazijewskyj identifiziert. Er wird posthum als "Held der Ukraine" ausgezeichnet, Denkmäler wurden ihm gesetzt, Straßen nach ihm benannt. Auch in der kleinen Stadt Nischyn, dem Ort, wo er herkommt und wo seine Mutter lebt. Mazijewskyj ist nicht der einzige unbewaffnete Soldat, der vor laufender Kamera von russischen Soldaten erschossen wird. Immer wieder tauchen solche Videos auf. Seit ein paar Wochen stark gehäuft. Vor allem in russischen Social-Media-Kanälen. Doch warum werden sie gerade jetzt veröffentlicht? Eine Abschreckungsmaßnahme? Teil der hybriden Kriegsführung: So soll die Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer beschädigt werden.

"Ehre der Ukraine!" waren seine letzten Worte

Am Abend vor seinem Tod, hat Paraska Demtschuk zum letzten Mal die Stimme ihres Sohnes gehört – sie war fröhlich und kräftig, als würde er nichts Schlechtes erwarten. Trotzdem ist sie mit einem unguten Gefühl zu Bett gegangen. "Als ich das Video gesehen habe, das schmerzhafte Video, war mir alles klar. Es war genau so, wie er es mir gesagt hatte, wie er gedacht hatte, es war genau so, wie es sein Plan für einen solchen Fall war. Das konnte nur er sein. Er hatte gesagt: "Mama, ich werde nicht kapitulieren." Und er hat nicht kapituliert."

Video der Hinrichtung eines ukrainischen Soldaten auf Smartphone
Oleksandr Mazijewskyj war unbewaffnet, als er erschossen wurde | Bild: SWR

Sie hat es mit eigenen Augen angesehen. Sein brutales Hinrichtungsvideo verbreitete sich schnell in den Sozialen Netzwerken. Erreichte auch seine Mutter. Oleksandr raucht eine Zigarette, ist unbewaffnet. Es ist ein Befehl zu hören, Oleksandr solle seine ukrainischen Schulterabzeichen abnehmen. Er schaut auf, sagt "Slawa Ukrajini!" – "Ehre der Ukraine!". "Sie fingen an, wütend zu fluchen und sagten "Du wirst sterben, Bitch!", sofort fielen Schüsse. Er wurde von Kugeln durchlöchert. Ich habe diese Löcher gesehen, das alles. Mein Gott, mein Gott, wie wütend sie waren, provoziert von "Slawa Ukrajini!"". Von mehreren Seiten wird er mit automatischen Schusswaffen getötet.

Immer mehr Videos mit russischen Kriegsverbrechen

Die Ermordung eines unbewaffneten Kriegsgefangen: ein Kriegsverbrechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte das Verbrechen in einer seiner Videobotschaften scharf, kündigte Ermittlungen an. "Ich möchte, dass wir alle zusammen, in Einheit, auf seine Worte antworten: "Ruhm den Helden! Ruhm für die Helden! Ruhm für die Ukraine! Und wir werden die Mörder finden."

Gemälde von Oleksandr Mazijewskyj in Uniform
In der Ukraine wird Oleksandr Mazijewskyj als Held verehrt | Bild: SWR

Doch die Täter zu finden, ist schwierig. Mühsam sammeln internationale Hilfsorganisationen und ukrainische Behörden Beweise. Starten oft mit einem Video irgendwo aus den Sozialen Netzwerken. "Unsere Aufgabe, als Ermittler oder Staatsanwalt ist es, die ursprüngliche Quelle zu ermitteln", so Denys Lysenko von der Generalstaatsanwaltschaft. "Zu analysieren, wie das Video erschienen sein könnte, wer mit ihm verbunden ist. Und zu versuchen, das Original des Videos zu finden."

Doch Oleksandr ist nicht der einzige unbewaffnete Soldat, der dabei gefilmt wurde, wie er von russischen Soldaten erschossen wird. Immer wieder tauchen solche Videos im Netz auf. "Wir stellen fest, dass seit November 2023 immer mehr Videos von Hinrichtungen ukrainischer Kriegsgefangener im Internet auftauchen", sagt Denys Lysenko von der Generalstaatsanwaltschaft. "Oder Videos, wo sie als lebender Schutzschild benutzt werden. Früher gab es diese Videos nicht in dieser Menge."

Hinrichtungsvideos sollen die Ukrainer demoralisieren

Mutter von Oleksandr Mazijewskyj zeigt Dokumente
Paraska Demtschuk hofft, dass der Tod ihres Sohnes nicht umsonst war  | Bild: SWR

Hinrichtungen, menschliche Schutzschilde, Scheinerschießungen, Folter. Die Liste der mutmaßlichen russischen Kriegsverbrechen ist lang. Die Videos schwer zu verifizieren. Aber warum stellen die Täter Videos ihrer grausamen Kriegsverbrechen ins Netz und das oft mit unverhülltem Gesicht? Und warum verbreiten russische Quellen solche Videos weiter? "Sie versuchen wohl, die Ukrainer zu demoralisieren und mit den Videos zu zeigen, wie grausam sie sind. Naja, wahrscheinlich. Was genau in ihren Köpfen vorgeht, kann ich nicht sagen." Eine besonders brutale Vorgehensweise, um den Feind zu demoralisieren, eine grausame Begleiterscheinung jedes Kriegs. Zumindest im Fall von Paraskas Sohn ist das jedoch nicht gelungen. Das Video hat Oleksandr für Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer zum Helden gemacht. "Ich bin stolz. Andere Soldaten werden durch ihn bestärkt. Ich freue mich, wenn mein Sohn, wenn mein Sohn… andere Soldaten stärkt."

Das sieht auch die ukrainische Regierung so. In der kleinen Stadt Nischyn, dem Ort, wo Oleksandr geboren wurde, aufwuchs, seine Mutter lebt, wurde ihm ein Denkmal gesetzt. Viele Menschen besuchen es. "Ich bin froh, dass das Denkmal errichtet wurde. Sehr froh. Er ist unser Ukrainer. Unser Verteidiger", sagt Serhij. Und Tetiana meint: "Es ist Krieg, aber die Erinnerung muss immer in unseren Herzen bleiben. Die Erinnerung an solche mutigen Menschen."

Grab von Oleksandr Mazijewskyj auf Friedhof
Grab von Oleksandr Mazijewskyj | Bild: SWR

Darauf hofft auch Oleksandrs Mutter. Doch manchmal wird ihr das alles etwas zu viel. Dann zieht sie sich zurück oder besucht ihren Sohn an seinem Grab, wenn alles ruhig ist. Dort kann sie mit ihm sprechen, sich ihm wieder näher fühlen. "So viele seiner Pläne konnte er nicht in die Tat umsetzen. So viele seiner Wünsche im Leben. Wenn dieser Krieg nicht wäre. Wenn er nicht all unsere schönen Jungs, unsere schönen Helden nehmen würde. Jeder von ihnen, jeder, der hier liegt, ist ein Held." Sie wünscht sich, dass ihr Sohn nicht umsonst gestorben ist, dass sein Tod anderen Menschen Kraft gibt. In einer Zeit, wo sich immer weniger Freiwillige finden, die an die Front gehen.

Autorin: Susanne Petersohn, ARD-Studio Kiew

Stand: 18.03.2024 11:16 Uhr

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