Mo., 28.09.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: In der Kritik – Die Amerikaner und die Flüchtlingskrise
Sebastiano Tomada hat sie gesehen, die Schrecken des syrischen Bürgerkriegs: unendliches Leid, unfassbare Zerstörung. Für die Agentur Getty Images reiste der Fotograf aus New York immer wieder in die Hölle von Homs und Aleppo. Seine bedrückenden Bilder zeigen die Opfer von Scharfschützen und Bombenterror des Assad Regimes. Der Chronist des Krieges kann verstehen, warum immer mehr Syrer ihre Heimat aufgeben: "Natürlich verlassen sie das Land, versuchen dem Regime zu entkommen. Wir sehen es doch im Internet: Assads furchtbare Fassbomben, diese dauernden Luftangriffe!"
"Amerika sollte mehr Flüchtlinge aufnehmen"
Millionen Opfer des blutigen Bürgerkriegs suchen Schutz im Ausland. Die USA haben in diesem Jahr bislang 1.500 syrische Flüchtlinge aufgenommen. "Ich finde, Amerika sollte mehr Flüchtlinge aufnehmen. Platzmangel ist ja wohl kaum das Problem, die Ressourcen sind da, wir sind ein sehr wohlhabendes Land. Die USA könnten problemlos zumindest einen Teil dieser Flüchtlingskrise schultern!“
Doch Washington wirkt wie gelähmt. Die Supermacht hat scheinbar keine klare Strategie für Syrienkonflikt und Flüchtlingskrise. Präsident Obama: scheint ratlos. Was Europa gerade erlebt, wäre ein Alptraum für Amerika. Das immer noch terrortraumatisierte Land fürchtet solchen Flüchtlingsansturm aus muslimischen Krisenregionen. Es könnten sich Attentäter unter die Asylsuchenden mischen.
Angst vor Terroristen
Die Vereinigten Staaten schotten sich ab. Bis Flüchtlinge einreisen dürfen, müssen sie sich außerhalb der USA sicherheitsüberprüfen lassen – in Bagdad, Beirut, Kairo oder einer der anderen weltweiten Dienststellen. Aus Angst vor Terroristen überprüfen die Amerikaner schon in den Flüchtlingslagern Familienhintergrund, Freundeskreis und biometrische Daten. Die meisten Antragsteller werden wiederholt von Beamten des Heimatschutzministeriums und den Geheimdiensten befragt. Bis zu zwei Jahre dauert das.
"Die wollten alles wissen"
Ein paar Dutzend syrische Flüchtlinge haben es so nach Chicago geschafft, für sie ist Amerika nun das gelobte Land. Fadi Adris und seine Frau Fatima sind mit ihren Kindern aus Homs geflohen, über den Libanon. Ihr Haus wurde zerbombt, viele Verwandte wurden erschossen. Dennoch wurden sie von den Amerikanern sehr argwöhnisch befragt, fühlten sich oft wie bei einem Verhör: "Die wollten alles wissen, von der Geburt an. Alles über die Familie meines Mannes, alles über meine, warum mein Vater und ein Bruder erschossen wurden und ein weiterer Bruder verhaftet, einfach alles!", erinnert sich Fatima.
Streit um Syrienstrategie
Im Kongress streiten sie derweil erbittert über Amerikas Syrienstrategie und über die moralische Verantwortung für die verzweifelten Flüchtlinge. "Diese Krise kam ja nicht unerwartet wie ein Erdbeben oder Tornado. Sie ist die vorhersehbare Folge der Führungsunfähigkeit unserer Regierung!", sagt John McCain, Republikanischer Senator. Dick Durbin, Demokratischer Senator, meint: "Zusätzliche 10.000 syrische Flüchtlinge sollen nun jährlich einreisen dürfen. Mir ist das zu wenig. Ich finde, wir sollten 100.000 Syrer aufnehmen.“ Das fordern auch Menschenrechtsaktivisten in Chicago, unter ihnen der syrische Arzt Zaher Sahloul. Der Einwanderer war Kommilitone von Assad. In den USA setzt er sich nun für Flüchtlinge ein: "Es gehört doch zum Fundament unseres Landes, offen für Einwanderer und Flüchtlinge zu sein, offen für alle, die Freiheit und Schutz suchen."
Kampf gegen IS
Mit mehr als vier Milliarden Dollar humanitärer Hilfe lindern die USA seit 2011 das Leid der Syrer. Fast genau so viel verschießt das Pentagon im Kampf gegen den IS-Terror. Doch auch nach 7.000 Luftschlägen gegen Stellungen im Irak und in Syrien sind die Islamisten unbesiegt – und Assad mordet ungehindert weiter. So mancher Pilot der US-Streitkräfte fragt sich, ob er die Richtigen bombardiert. Und nun treten auch noch die Russen auf den Plan. Selbst Amerikas Oberkommandierender Barack Obama tut sich schwer, seinen Soldaten zu erklären, ob Russlands Präsident Putin nun zum Verbündeten wird: "Die gute Nachricht ist, dass Russland wie wir gewalttätigen Extremismus bekämpfen will und den Islamischen Staat auch gefährlich findet. Die schlechte Nachricht ist, dass Russland immer noch glaubt, dass sein Partner Assad weiterhin Unterstützung verdient!“
Syrienkonflikt nur mit Assad zu lösen?
Assads gefürchtete Fassbomben, mit Nägeln und Schrott gefüllt – täglicher Terror gegen das eigene Volk. Doch der Diktator in Damaskus darf sich auch nach vier Jahren Bürgerkrieg sicher fühlen – denn einer hält eisern zu ihm: Wladimir Putin. Genüsslich erläutert Russlands Herrscher ausgerechnet im Exklusivinterview eines US-Senders, dass der Syrienkonflikt nur mit Assad zu lösen sei: "Es gibt keine andere Lösung der Syrienkrise als die ja noch funktionierende Regierung zu stärken und ihr im Kampf gegen Terrorismus zu helfen.Gleichzeitig muss man sie drängen, mit der gemäßigten Opposition über Reformen zu reden."
Der Fotograf Sebastiano Tomada hat wenig Hoffnung, dass der Bürgerkrieg in Syrien bald endet – ob mit oder ohne Russen. Den Preis bezahlten wohl weiterhin die Schwachen und Schutzlosen. Sein nächster Einsatz führt den New Yorker in den Irak, Syrien sei zurzeit nur was für Lebensmüde.
Autor: Stefan Niemann, ARD-Studio Washington
Stand: 09.07.2019 11:41 Uhr
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