So., 14.11.21 | 18:05 Uhr
Das Erste
USA/West Virginia: Kohle-Kumpel wenden sich ab
Joe Manchin gegen Joe Biden
Wenn Lloyd "Bub" Barker von der Nachtschicht in der Kohle-Mine kommt, ist nichts mit Schlafen. Enkeltochter Tinley will spielen. Seine Tiere müssen versorgt werden. 180 Hektar Land gehören Bub und seiner Frau, hier im Norden West Virginias. Im vergangenen Jahr haben sie die letzten Schulden beglichen. Möglich gemacht hat das Bubs gut bezahlter Job in der Kohle-Industrie. Mit Nachtschichten, Wochenendarbeit, Überstunden kam er auf rund 130.000 US-Dollar. "Meine Leidenschaft ist die Farm … draußen sein. Der Bergbau ist ein guter Job, aber ich bin nicht gerne unter Tage." Dennoch ist Bub Bergbau-Arbeiter – in vierter Generation. Alle seine Vorfahren wählten die Demokraten. Arbeiterschicht und Demokratische Partei – das war hier in West Virginia lange eins. Doch Präsident Obama verschärfte in seiner Amtszeit Umweltauflagen. "Ich habe für Obama gestimmt. Zwei Mal. Aber er hat die Kohleindustrie zerstört. Vor seiner Zeit hätte ich in meiner Mine rund um die Uhr arbeiten können, sieben Tage die Woche." Doch auch darüber hinaus kann Bub mit den heutigen Demokraten nichts anfangen. "Ich kann keine einzige Sache mehr finden, bei der ich mit ihnen übereinstimme. Abtreibung zum Beispiel. Oder die offenen Grenzen. Sie wollen die Partei der Arbeiter sein und lassen dann all diese Leute unkontrolliert ins Land?" In all diesen Fragen sind ihm die Republikaner jetzt näher.
Für einen Demokraten hatte Bub zuletzt dennoch gestimmt: Joe Manchin. 2018 gewann der das Rennen um West Virginias Senatoren-Posten in Washington. Manchin kommt aus Bubs Nachbarort Farmington. Seine Eltern hatten hier früher einen Laden, einer seiner Brüder ist der Arzt der Gegend. Die ganze Familie: tief verwurzelt in der Kohleregion. In Washington geht Manchin linken Parteikollegen seit Monaten auf die Nerven, weil er die ambitionierte Klima- und Sozial-Gesetzgebung von Präsident Biden ausbremst. "Ich habe immer gesagt: Wenn ich das, was wir beschließen, zuhause nicht erklären kann, werde ich nicht dafür stimmen. Daher werde ich diese Gesetzgebung nicht unterstützen, ohne zu durchdenken, welche Auswirkungen sie hat – für die Staatsschulden und unsere Bürger", so Joe Manchin. Übertragen auf West Virginia heißt das: Je schneller der Kohleausstieg in Washington vorangetrieben wird, desto schneller gehen in Regionen wie dieser gut bezahlte Jobs verloren.
Kohle-Kumpels wenden sich von den Demokraten ab
Die Bergarbeiter-Gewerkschaft vor Ort sieht Senator Manchin an ihrer Seite. Doch die Mehrheit der demokratischen Partei verliere bei ihrem Bemühen um Klimaschutz die Menschen aus dem Blick. "Wenn man einen Industrie-Zweig perspektivisch schließen will, dann muss man den Menschen, deren Jobs man dabei abschafft, helfen", fordert Rick Altman von der Gewerkschaft United Mine Workers of America. "Ihnen eine neue Möglichkeit geben, Geld zu verdienen. Das gibt es hier noch nicht. Sie wollen uns die Jobs wegnehmen, aber bieten uns bisher keine Alternative." Gute Löhne für die Kohle-Kumpel, gute Krankenversicherung, gute Renten – das alles hätten die Demokraten an der Seite der Gewerkschaft erkämpft.
Am nächsten Morgen treffen wir noch einmal Bub Baker. Er will jetzt auch Joe Manchin nicht mehr wählen, egal wie sehr der sich gegen den Mainstream seiner Partei stellt. Auch die meisten seiner Kohle-Kumpel: für die demokratische Partei verloren. "Die Demokraten sind einfach zu weit nach links gerückt. Mit all diesem Woke- und Klima-Kram", sagt Rockie Filius. "Wir müssen hier jeden Tag arbeiten, unsere Familien ernähren, unser Leben stemmen.” Und Michael Waggy meint: "Früher haben die Demokraten für uns gekämpft. Jetzt sind es die Republikaner. Die unterstützen die großen Energiekonzerne – aber damit helfen sie auch uns, weil es hier weiter geht.” Gibt es irgendetwas, das Bub für die Demokraten zurückgewinnen könnte? "Dafür müssten sie schon eine 180-Grad-Wende hinlegen." Stolz tragen die Menschen in Fairmont am Veterans Day die US-Flagge. Feiern ihre Veteranen, ihre Nation. Auch an Senator Manchins Bürgerbüro zieht die Parade vorbei. In drei Jahren will Manchin wiedergewählt werden – auch darauf zielt sein Widerstand gegen die eigene Partei. Nur, unser Eindruck von dieser Reise: reichen wird das in West Virginia wohl eher nicht.
Autorin: Kerstin Klein
Stand: 16.11.2021 14:05 Uhr
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