So., 28.07.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Venezuela: Sozialismus der Ungleichheit
Mit Stolz zeigt Jimmy Belilty sein Hotel: Geschmackvolle Zimmer, ein eleganter SPA-Bereich und von der Terrasse schaut man direkt aufs Meer. 400 Dollar pro Nacht kostet ein Zimmer in einer Suite. Die Kunden sind venezolanischen Touristen. 400 Dollar pro Nacht! In einem Land, in dem es vor wenigen Jahren an Essen mangelte, an Medikamenten und Benzin? "Es gibt mehr als ein Venezuela", sagt Higinia Alvarado. "Das Venezuela der Habenden und der Habenichtse." Sie jedenfalls verdient weniger als 20 Dollar im Monat. Das Projekt "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" von Präsident Maduro sollte die Kluft zwischen Arm und Reich eigentlich überwinden. Passiert ist das Gegenteil. Auch deshalb macht Higinia keinen Hehl daraus, dass sie bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag nicht mehr für Maduro stimmen wird.
Venezuela ist eigentlich ein reiches Land
Jimmy Belilty gewährt uns Einblicke in sein Reich. Wer ein Zimmer in seinem Hotel bucht, der hat Geld. Suites, exklusiv, mit Privatsphäre. Das kostet – teils 400 Dollar, pro Nacht. Seine Kunden: fast alles Venezolaner. "Da hinten ist das SPA". Vor einem Jahr hat er eröffnet – als anderswo im Land Krise herrschte. "Alles, was hier im Raum ist, kann man auch kaufen. Ist nicht billig, aber wir verkaufen es." EINE Seite von Venezuela, sagt er. Aber eine, die es immer gab. "Venezuela ist ein reiches Land. Es war ein reiches Land – und es wird wahrscheinlich bald wieder ein reiches Land werden."
Belilty verkauft die schöne Seite des Landes, auf der Isla de Margarita, weit weg von Not und Mangel. Sein Venezuela hat wenig mit IHREM zu tun: Higinia blickt auch auf ein Meer … von Häusern, am Rande von Caracas. Den Reis, den die Regierung verschenkt, lagert sie hier oben. Weil Käfer drin krabbeln. Aber ihr Lehrergehalt reiche nicht für etwas anderes. "Ich bekomme acht Dollar, alle 14 Tage, Obwohl ich drei Uni-Titel habe. Acht Dollar." Außer miserablem Essen habe die Regierung ihrer Familie nichts gebracht. Als Staatsangestellte braucht sie Nebenjobs, um überhaupt zu überleben. Auch sie sagt, es gebe zwei Venezuelas. Für Habenichtse – wie sie. Und für Wohlhabende.
Die Günstlinge der Regierung leben gut
Aber immerhin, nach Jahren der Krise, spürt eine Minderheit einen zarten Aufschwung. Dollars zirkulieren. Unternehmer, aber auch Günstlinge der Regierung feiern hier, erklärt der Rechtsprofessor. Der zusätzlich als Anwalt arbeiten muss. "Das hier ist eine Blase", sagt Oscar Arnal. "Eine Oase inmitten einer Wüste. Venezuela ist ein Land mit unermesslicher Armut. Mit meinem spärlichen Uni-Gehalt als Professor könnte ich nicht mal zwei Bier hier trinken. Das ist die Realität." Absurde Gegensätze im Sozialismus. Während der Mindestlohn für nichts reicht, leben teils staatsnahe Eliten gut. Enchufados nennt man die Günstlinge der Regierung. "Enchufados, ja klar", meint María Antonieta Albarrán. "Es gibt einen Teil der Regierung, der Zugang zu vielen Dingen hat.”
Für die meisten bleibt der Aufschwung aber eine Illusion. Dabei hatte der Präsident versprochen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu überwinden. Doch Maduro ruinierte das Land, trotz seiner gigantischen Ölreserven. Und will dennoch weiterregieren. Higinias Stimme bekommt er nicht. Seit Maduro regiert, arbeitet sie außer als Lehrerin, im Lieferdienst und Taxiservice. Jetzt brach ihr altes Auto zusammen. Und die Reparatur frisst alles Ersparte. "Wir sind als Venezolaner gewohnt, uns durchzuschlagen. Überall Lösungen zu suchen, um weitermachen zu können." An Aufbruch mit Maduro glaubt Hinginia nicht mehr. Sie will ihr Kreuz bei der Opposition machen.
Hoffnungsträger Edmundo Gonzalez
"Edmundo pa todo el mundo", Edmundo für die ganze Welt, singen sie. Hoffnungsvoll wie seit Jahren nicht. Obwohl schon jetzt jeder weiß, dass diese Wahl weder frei noch fair ist – nach all der Schikane der Regierung. Der Kandidat ist eine Notlösung: Edmundo Gonzalez, Rentner und Ex-Diplomat soll das autoritäre Regime stürzen. Denn Maduro hatte die Wunschkandidatin kaltgestellt. Wegen angeblicher Korruption. Und noch immer kann alles passieren: Wahlbetrug, Stromausfall. SIE treibt der Mut der Verzweiflung. "Wir werden zur Demokratie zurückkehren", ist sich Higinia Alvarado sicher. "Wir werden gewinnen. Die meisten Venezolaner wollen einen Wandel."
Zurück am Meer wirkt die Hauptstadt weit weg. Hier investieren und bauen betuchte Venezolaner, wie Jimmy Belilty. Belilty hält sich politisch lieber bedeckt. Schließlich müsste er sich mit jeglichem Wahlausgang arrangieren. "Naja, also ... Beide Wahl-Ausgänge bergen eine gewisse Unsicherheit. Man muss abwarten und schauen, was passiert. Auch wenn die amtierende Regierung gewinnt, gehe ich davon aus, dass sich die Lage, wie im vergangenen Jahr, langsam verbessert."
Entscheidet das Volk, sagen sie, habe Maduro keine Chance. Doch so einfach ist es nicht. Allein der Wahlzettel ist verwirrend. Maduro steht dreizehn Mal drauf, ganz oben. Da müsse man höllisch aufpassen. Wenn Maduro diese Wahl verliert, hoffen, sie, dass die Verwandten zurückkommen, die vor Armut und Unterdrückung geflüchtet sind. Acht Millionen insgesamt. "Heute hat mein Sohn mir eine Nachricht geschickt und gesagt: Mama, wenn Edmundo gewinnt, dann komme ich zurück", sagt Francis. Und Higinia Alvarado meint: "Wir werden diese Regierung los. Wir werden unsere Angehörigen wiedersehen, meine Geschwister, so viele Leute, die gegangen sind." Was aber, wenn Maduro die Macht nicht abgibt. Ein Gedanke, den sie lieber zur Seite schieben. Sie glauben an ihren Triumph – gegen alle Widerstände.
Autorin: Marie-Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko z.Zt. Caracas, Venezuela
Stand: 29.07.2024 01:00 Uhr
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