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Großbritannien - Der Baron und sein Dorf

Großbritannien - Der Baron und sein Dorf | Bild: WDR

Es ist ein Dorf, das so idyllisch, grün und intakt ist, wie ein englisches Dorf nur sein kann: Tissington, im Norden Englands.
Ein Dorf, in dem die feudale Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts friedlich weiter lebt.

Denn Tissington gehört auch heute noch ihm:

Sir Richard Baronet Fitzherbert der 9.
Sir Richard Baronet Fitzherbert der 9.

Gestatten: Sir Richard Baronet Fitzherbert der 9.

Mit 25 erbte er das Dorf von seinem Onkel, der überraschend früh starb. Völlig unvorbereitet auf sein neues Leben musste er die Rolle des Dorfadligen mühsam lernen. Denn es war ein riesiges Erbe, das ihm da plötzlich zufiel. Mehr als 1000 Hektar Land, 40 Häuser und Höfe, für ihn zunächst vor allem eine Last. Von dem maroden Schloss ganz zu schweigen.

»Es war ein Schock, ich musste mein ganzes Leben ändern. Ich kam hier an am nächsten Tag, es war heiß und ich saß in der Bibliothek und fing an zu heulen. – Ja, weil ich zwar schon glücklich war über dieses Erbe, aber mir war auch klar, was das für eine Verantwortung sein würde.«

144 Einwohner hat Tissington heute, die hier ein weitgehend sorgenfreies Leben führen und die Häuser von ihm pachten. Im schönsten Haus im Dorf, der alten Schule, residiert Heather Pilkington. Als stolze Ladenbesitzerin:

»Wo hat man einen Laden, mit so einem Blick, nicht mal Harrods hat so einen Blick.«

Sie hat die Schule zu ihrem eigenen Private Members Club erklärt, in dem sie Waren aller Art verkauft, aber eben nur an Mitglieder.

»Wenn Leute hier an der Tür klopfen, und reingelassen werden wollen, die mir nicht gefallen, dann sag ich ihnen: „Tut mir leid. Das ist ein privater Club. Dann beschimpfen sie mich, und fragen anschließend, was sie tun müssen, um aufgenommen zu werden. Und ich sag dann, Ich müsste Sie mögen. Und ich mag sie nicht. Und schlage ihnen die Tür vor der Nase zu. Ich sag Ihnen, das ist eine wunderbare Art einen Laden zu führen.«

Das ganze Gebäude ist voll bis unters Dach mit Dingen, die die Welt nicht braucht. Ein kurzer Blick durch die Tür - mehr ist für Nichtmitglieder wie uns nicht drin. Und eigentlich behält sie die Dinge auch lieber als sie zu verkaufen.

»Ich werde immer ganz traurig, wenn ich bestimmte Sachen verkaufe, manche Dinge wachsen mir ans Herz. Vor allem, wenn ich sie nicht mehr kriegen kann. Das regt mich dann doch irgendwie auf.«

Sir Richard, der sich in seinem Dorf auch für das Unkraut zuständig fühlt, ist mit zwei weit weniger engagierten Handwerkern unterwegs, um defekte Gullis zu reparieren. Kein Detail, das ihm entgeht.

Führung durch Vorbild - man könnte ihn auch einen Pedanten nennen. Zum Beispiel, wenn es um die Dorftüren geht, die einheitlich gestrichen sein müssen - und zwar in Hollybush Green.

»Ja, denn so gibt’s kein Durcheinander. Ich hab das nunmal so entschieden. Und so muss es gemacht werden. Und das tun sie? Meistens schon.«

Alle anderen Eigenheiten seiner Dorfbewohner aber toleriert er. Solange sie die Pacht bezahlen. Heathers Mann Howard hat übrigens auch einen Laden, am anderen Dorfende. Hier aber darf anders als in Heathers Privatclub jeder hinein. Und das kleine Geheimnis der beiden geht so:

»Wenn ich Leute sehe, die mir gefallen, dann sag ich zu denen, wollen Sie mehr von diesen Dingen sehen, sehr viel mehr, und außerdem noch Damenmode, Handtaschen und Schals, und dann sagen sie ja unbedingt, und dann sag ich, am anderen Ende des Dorfs gibt es noch diesen Laden, der ist aber nicht für jeden, aber wenn ich meine Frau anrufe und frage, dann kann ich sie dorthin schicken. Und hoffentlich kaufen sie dann auch was. Meistens klappt‘s.«

Während das Dorf sich so amüsiert, ist die Stimmung im Schloss oft eher düster. Denn das ist marode. Und selbst im Sommer eiskalt. Die Heizung funktioniert nur in ausgewählten Räumen. Geld verdient Sir Richard vor allem mit Besuchern, die er für 10 Pfund durchs Haus führt, aber die sind eher selten. Und selbst die Uhren muss er selbst aufziehen.

Butler und Schlossdiener, in Tissington sind das ferne Schatten der Vergangenheit:

»Mir gehört zwar viel, aber Geld hab ich keins. Für diesen Kasten hier bräuchte ich 20 Millionen, wenn ich ihn wirklich in Ordnung bringen wollte. Aber die hab ich nicht. Also machen wir hier immer nur das Nötigste. Ich hätte gerne eine richtige Heizung im Schloss, aber das wären 200.000 Pfund und wo soll ich die herkriegen.«

Um finanziell durchzuhalten, lässt er gelegentlich Hochzeiten in sein Schloss. Die Braut heute ist Lynn, Sekretärin aus der nächsten Kleinstadt, aktiv unterstützt von ihrer Zwillingsschwester Carol, die sie auch zum Altar führen wird. Und die fast aufgeregter ist als die Braut selbst.

»Wenn meine Familie das hier gleich sieht, sie werden’s nicht glauben. Die waren noch nie in so einem Kasten wie dem hier.«

Der Bräutigam, pensionierter Feuerwehrmann wartet unten auf die Gäste. Und weil er ein Schotte ist, hat man für ihn den lokalen Automechaniker zum Dudelsackspielen bestellt. Während oben die Schwester der Braut damit kämpft, selbst den Richtigen noch nicht gefunden zu haben.

»Ich hab ja noch Zeit. Und ich hab lieber keinen, als irgendeinen.. Nur um einen zu haben. Das ist auch nichts, oder? Mann muss ja den Partner für’s Leben finden.«

Dafür sieht sie aber heute schon fast aus wie die Braut. Auch wenn sie es nicht ganz so elegant die Treppe hinunterschafft wie ihre Schwester.

Und so fühlt man sich zumindest für diesen einen Tag jetzt so, wie man den Landadel aus dem Fernsehen kennt, reich und sorgenfrei..

der Schlossherr mustert den Himmel
der Schlossherr mustert den Himmel

Der echte Schlossherr mustert derweil einen Stock drüber sorgenvoll den Himmel, denn bei Dauerregen bleiben selbst in England die Touristen aus:

»Ein paar Hartgesottene kommen glücklicherweise ja immer. Ich würde mir nur wünschen, sie würden ein bisschen mehr Geld bringen.«

Er würde sein Bankkonto deshalb liebend gern mit jedem dieser Touristen tauschen. Und auch mit dem von Heather und Howard, deren Geschäftsgeheiminis nämlich selbst an solch eher mauen Tagen glänzend funktioniert.

Während Sir Richard zwar sein Dorf verkaufen könnte, aber das macht man nun mal nicht auf dem englischen Land. Hier heißt es Haltung bewahren. Denn: Adel verpflichtet.

Autorin: Annette Dittert, ARD Studio London

Stand: 15.04.2014 11:18 Uhr

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