So., 23.06.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien - Der Baron und sein Dorf
Es ist ein Dorf, das so idyllisch, grün und intakt ist, wie ein englisches Dorf nur sein kann: Tissington, im Norden Englands.
Ein Dorf, in dem die feudale Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts friedlich weiter lebt.
Denn Tissington gehört auch heute noch ihm:
Gestatten: Sir Richard Baronet Fitzherbert der 9.
Mit 25 erbte er das Dorf von seinem Onkel, der überraschend früh starb. Völlig unvorbereitet auf sein neues Leben musste er die Rolle des Dorfadligen mühsam lernen. Denn es war ein riesiges Erbe, das ihm da plötzlich zufiel. Mehr als 1000 Hektar Land, 40 Häuser und Höfe, für ihn zunächst vor allem eine Last. Von dem maroden Schloss ganz zu schweigen.
144 Einwohner hat Tissington heute, die hier ein weitgehend sorgenfreies Leben führen und die Häuser von ihm pachten. Im schönsten Haus im Dorf, der alten Schule, residiert Heather Pilkington. Als stolze Ladenbesitzerin:
Sie hat die Schule zu ihrem eigenen Private Members Club erklärt, in dem sie Waren aller Art verkauft, aber eben nur an Mitglieder.
Das ganze Gebäude ist voll bis unters Dach mit Dingen, die die Welt nicht braucht. Ein kurzer Blick durch die Tür - mehr ist für Nichtmitglieder wie uns nicht drin. Und eigentlich behält sie die Dinge auch lieber als sie zu verkaufen.
Sir Richard, der sich in seinem Dorf auch für das Unkraut zuständig fühlt, ist mit zwei weit weniger engagierten Handwerkern unterwegs, um defekte Gullis zu reparieren. Kein Detail, das ihm entgeht.
Führung durch Vorbild - man könnte ihn auch einen Pedanten nennen. Zum Beispiel, wenn es um die Dorftüren geht, die einheitlich gestrichen sein müssen - und zwar in Hollybush Green.
Alle anderen Eigenheiten seiner Dorfbewohner aber toleriert er. Solange sie die Pacht bezahlen. Heathers Mann Howard hat übrigens auch einen Laden, am anderen Dorfende. Hier aber darf anders als in Heathers Privatclub jeder hinein. Und das kleine Geheimnis der beiden geht so:
Während das Dorf sich so amüsiert, ist die Stimmung im Schloss oft eher düster. Denn das ist marode. Und selbst im Sommer eiskalt. Die Heizung funktioniert nur in ausgewählten Räumen. Geld verdient Sir Richard vor allem mit Besuchern, die er für 10 Pfund durchs Haus führt, aber die sind eher selten. Und selbst die Uhren muss er selbst aufziehen.
Butler und Schlossdiener, in Tissington sind das ferne Schatten der Vergangenheit:
Um finanziell durchzuhalten, lässt er gelegentlich Hochzeiten in sein Schloss. Die Braut heute ist Lynn, Sekretärin aus der nächsten Kleinstadt, aktiv unterstützt von ihrer Zwillingsschwester Carol, die sie auch zum Altar führen wird. Und die fast aufgeregter ist als die Braut selbst.
Der Bräutigam, pensionierter Feuerwehrmann wartet unten auf die Gäste. Und weil er ein Schotte ist, hat man für ihn den lokalen Automechaniker zum Dudelsackspielen bestellt. Während oben die Schwester der Braut damit kämpft, selbst den Richtigen noch nicht gefunden zu haben.
Dafür sieht sie aber heute schon fast aus wie die Braut. Auch wenn sie es nicht ganz so elegant die Treppe hinunterschafft wie ihre Schwester.
Und so fühlt man sich zumindest für diesen einen Tag jetzt so, wie man den Landadel aus dem Fernsehen kennt, reich und sorgenfrei..
Der echte Schlossherr mustert derweil einen Stock drüber sorgenvoll den Himmel, denn bei Dauerregen bleiben selbst in England die Touristen aus:
Er würde sein Bankkonto deshalb liebend gern mit jedem dieser Touristen tauschen. Und auch mit dem von Heather und Howard, deren Geschäftsgeheiminis nämlich selbst an solch eher mauen Tagen glänzend funktioniert.
Während Sir Richard zwar sein Dorf verkaufen könnte, aber das macht man nun mal nicht auf dem englischen Land. Hier heißt es Haltung bewahren. Denn: Adel verpflichtet.
Autorin: Annette Dittert, ARD Studio London
Stand: 15.04.2014 11:18 Uhr
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