So., 12.10.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Italien: Mare Nostrum - Die Lebensretter vom Mittelmeer
Die italienische Marine rettet Monat für Monat mit fünf Schiffen und zwei Hubschraubern Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, das Projekt heißt Mare Nostrum, ins Leben gerufen nach der Katastrophe von Lampedusa. Mehr als 100.000 Flüchtlinge konnten gerettet werden. Bislang hat Italien die Mission Mare Nostrum finanziell und organisatorisch alleine gestemmt. Jetzt läuft das Projekt aus. Die Hilfe wird künftig nicht mehr in diesem Umfang fortgeführt. Wir konnten an Bord des italienischen Marine-Schiffes "San Giorgio" drehen und waren bei einer Rettungsaktion dabei, bei der mehr als 200 Flüchtlinge von einem uralten Kahn gerettet werden konnten.
Patrouillenfahrt im Mittelmeer. Die San Giorgio ist ein Kriegsschiff. Aber sie sucht hier nicht nach dem Feind. Die Männer an Bord suchen nach Flüchtlingen. Ein mögliches Zielobjekt bei Peilung 1.20 identifiziert. Höchste Kraft voraus zur Peilung. Sobald der Hubschrauber bereit ist schicken wir ihn zur Vorabklärung. Schon bald entdecken sie einen winzigen Punkt im Meer. Tatsächlich: ein Flüchtlingsboot. Jetzt zählt jede Minute. Bis zum Einbruch der Dunkelheit bleibt nicht mehr viel Zeit für die Rettung.
Dolmetscher: "Gibt es schwangere Frauen?" Dolmetscher: "Wie viele? Zwei?" "Zwei schwangere Frauen." Dolmetscher: "Wo kommt ihr her?""Syrien, Ägypten und Sudan? OK!"
Mehr als 200 Flüchtlinge sind auf dem alten Fischkutter. Die Männer von der San Giorgio werfen Säcke mit Rettungswesten aufs Boot – falls jemand über Bord geht. Die Rettungsaktion ist riskant, bei der starken Strömung könnte das Landungsboot den Kutter rammen. Der marode Rumpf könnte zerbrechen. Zuerst die Kinder, dann die schwangeren Frauen. Sie versucht es, schafft aber nicht, auszusteigen. Es dämmert bereits, die Rettungsaktion zieht sich hin. Als die Sonne untergeht, sind immer noch 170 Menschen auf dem Boot. Die Mannschaft will die Aktion unbedingt vor Einbruch der Nacht beenden.
"Komm, ich übernehme die Kinder, wenn du dort bleiben willst, ich übernehme sie. Langsam, langsam! Einer nach dem anderen."
Die Strömung ist stark. Immer weiter entfernt sich das Fischerboot von der San Giorgio.
Giovanni: "Lago, zählst du sie gerade?" Lago: "Vierzehn Personen, Giovanni!" Giovanni: "In maximal zehn Minuten sind wir in Sicherheit."
Dann ist die Rettung gelungen. Das Landungsboot fährt in die schmale Öffnung des Mutterschiffes ein. Auf der San Giorgio sind sie vorsichtig: niemand weiß, ob die Flüchtlinge möglicherweise ansteckende Krankheiten mitbringen. Alle werden durchsucht, wenn sie an Bord kommen. Und danach sorgfältig medizinisch untersucht. Über die Reise dieser Menschen erfährt die Besatzung nach und nach einige Details: 3000 Dollar pro Person hat ihre Fahrt über das Mittelmeer gekostet. Sie mussten schwimmen, um auf den Fischkutter zu gelangen. Acht Tage und acht Nächte waren sie auf dem Meer, bis man sie fand. Total erschöpft sind sie alle. Aber - seit vielen Tagen haben sie zum ersten Mal ein Gefühl von etwas Sicherheit, haben keine Todesangst mehr. Die San Giorgio nimmt Kurs auf Sizilien. Dort werden die Flüchtlinge an Land gebracht.
Kommandant: "Wir wissen, dass diese Migranten Italien als Tor zu Europa sehen. Viele besitzen sogar schon die Fahrkarte, um zu Verwandten in anderen europäischen Ländern zu fahren. Aber wer die Rettung dieser Menschen als eine Bedrohung sieht, ist egoistisch, nichts anderes. Es sind Menschen, denen geholfen werden muss und wir helfen ihnen. Und alle Länder, die die Mittel dazu haben, müssen diesen Menschen helfen."
Eine Krankenschwester kümmert sich. Mariagrazia :"Was hast du in Syrien gearbeitet?" Frau: "An der Uni." Mariagrazia : "An der Universität?" Frau: "Ja, ich war Dozentin." Mariagrazia: "Und dein Mann?" Frau: "Er war... Manager von vier Restaurants. Wir haben nichts mehr in Syrien. Alles ist weg, unser Zuhause, unsere Arbeit."
Ob Europa ihnen eine Zukunft gibt? Dürfen sie bleiben? Wird man sie zurückschicken? Die Umarmung gibt Zuversicht. Wenn auch nur für den Moment. Die San Giorgio nähert sich dem Marinestützpunkt Augusta auf Sizilien. Von hier geht es für die Flüchtlinge weiter in die Stadt Syrakus, in ein Aufnahmelager.
Abschied. Entlassen in die Ungewissheit. Und jetzt? "Jetzt kann ich nicht sprechen".
Autorin: Chiara Sambuchi
Stand: 13.11.2014 13:15 Uhr
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