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Bulgarien: Junge Leute kämpfen gegen Korruption

Bulgarien: Junge Leute kämpfen gegen Korruption | Bild: Das Erste

Jeder kennt sie und weiß: Die 16 Jährige Desi hat eine Mission: Noch vor Schulbeginn demonstriert sie gegen die bulgarische Regierung. Desi will, dass Korruption und Vetternwirtschaft in ihrem Heimatland, dem ärmsten der Europäischen Union, aufhören.

Jeden Tag dasselbe Spiel. Vor dem Parlament brüllen Hunderte „Rücktritt“. Am Hintereingang, bestens abgeschirmt von der Menge, rollen die Politiker in ihren dicken Limousinen an.

Desislava Nikolava:

»Die Politiker denken nur daran, wie sie sich selbst bereichern können, aber nicht an die Bürger. Das macht mich sehr wütend. Als Bürgerin fühle ich mich deshalb verpflichtet, zu protestieren. Wir fordern, dass das Land endlich anständig regiert wird. Damit wir hier bleiben und leben können.«

Ralitsa Kovacheva, Kommunikationswissenschaftlerin, sie dokumentiert die anhaltenden Proteste. Demonstriert wird morgens , damit die Leute anschließend zur Arbeit, in die Schule oder zur Uni gehen können.

Ralitsa Kovacheva:

»„Ich will eine Wende in der politischen Kultur Bulgariens. Ich will, dass hier endlich Politik mit Anstand gemacht wird. Von anständigen, ehrlichen Menschen.“«

Ralitsa unterstützt die Studenten, wo sie kann, sie leitet das Studentenfernsehen. Die 38 Jährige kümmert sich auch um den Facebook-Auftritt und hat festgehalten, wie ausgelassen es bei den Protesten zuging, vor allem in der Anfangsphase, im Sommer.

Ralitsa Kovacheva:

»Wir Bulgaren haben uns zum ersten Mal als Gemeinschaft gefühlt. Das ist eine sehr wichtige Erfahrung für uns. Nicht länger mit den Problemen allein zu sein, wie es bisher war, jeder isoliert für sich.«

Schulschluss am Technischen Gymnasium. Hier bereitet sich Desi darauf vor, später einmal Fernseh- und Filmtechnik zu studieren. Immer wieder versucht sie, ihre Mitschüler zum Demonstrieren zu überreden. Aber die interessieren sich nicht so für Politik.

Jetzt hat sie schon einen recht langen Tag hinter sich. Ihr Vater erwartet sie zuhause, er ist Koch und hat nachmittags frei. Die Mutter ist noch bei der Arbeit. Auf seine Tochter ist Philip Nikolava mächtig stolz. Ihre Wünsche, in einem korruptionsfreien Land zu leben, unterstützt er. Manchmal ist er bei den Protesten sogar dabei.

Philip Nikolava:

»Ich habe immer wieder überlegt auszuwandern – für sie. Damit sie eine bessere Zukunft hat. Jetzt provoziere ich sie manchmal und sage: Ich bezahle Dir ein Studium im Ausland. Wo Du willst. Aber sie lehnt jedesmal entrüstet ab.«

Desislava Nikolova:

»Ich liebe Bulgarien. Ins Ausland will ich nur im Urlaub, um andere Kulturen kennenzulernen. Aber ich bleibe, ich will, dass sie in diesem Land was ändert. Das ist doch der einzige Weg für Bulgarien.«

Und drüben an der Wand hängt das Bild, das Desi in ganz Bulgarien berühmt gemacht hat. Desi umarmt einen Polizisten. Demonstranten hatten ihn angegriffen. Er hatte eine blutige Nase. Desi hatte Mitleid.

Junge Frau mit roten Haaren.
Die 16 jährige Desislava Nikolova

Desislava Nikolova:

»Ich habe zu ihm gesagt: Paß auf Dich auf. Und er hat zu mir gesagt: Paß auch auf Dich auf.«

Die Polizisten dürfen wir nicht fragen, was sie von all dem halten. Sie wurden aus dem ganzen Land in die Hauptstadt abkommandiert. Tagsüber, wenn die Protestierer bei der Arbeit sind, sieht man sie gelangweilt an jeder Ecke im Regierungsbezirk. Sie sind die einzige Reaktion der Regierung auf die jungen Demonstranten. Einen Rücktritt lehnen der Ministerpräsident und seine Stellvertreterin ab.

Zinaida Zlatanova, Vizeministerpräsident und Justizministerin:

»Die Regierung arbeitet seit Beginn ihres Mandats sehr hart daran, dass die demokratischen Institutionen wieder normal funktionieren. Ja, es stimmt, in den letzten Jahren ist das demokratische System Bulgariens bedrohlich ausgehöhlt worden.«

Für manche ist das Flaschenpfand die einzige Einnahmequelle, wie hier in Plovdiv der zweitgrößten Stadt im Land. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Plattenbauten zerfallen. Im ohnehin ärmsten Land der Europäischen Union hat die Wirtschaftskrise besonders unerbittlich zugeschlagen. Von den Jungen ist jeder dritte ohne Arbeit. Deshalb hat auch der 33 Jährige Samuel im vergangenen Sommer gegen die Regierung protestiert.

Mann mit junger Frau im Gespräch.
Vor Schulbeginn wird demonstriert

Jetzt hat er aufgegeben, Er sieht keinen Sinn mehr. Er hat seine Entscheidung getroffen. Die junge Familie wird Bulgarien verlassen. Was ihm nicht leichtfällt. Denn sie haben sich hier ein Leben aufgebaut. Seine Frau hat einen Uniabschluss. Samuel ist Computerspezialist. Hat einen festen Arbeitsplatz und macht gerade sein zweites Hochschuldiplom. In einem anderem Land würde er gerne Steuern zahlen, z. B: in Deutschland oder Großbritannien.

Samuel Musrafchiev:

»Entscheidend ist doch, dass man sein Steuergeld an einen Staat bezahlt, der gut funktioniert. Oder zumindest: Besser. Den perfekten Staat gibt es nicht. Aber einen besseren. Das politische System in Bulgarien ist...ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... es entspricht einfach nicht einem EU-Land.«

Samuel wird gehen, Desi will bleiben. Sie hat noch die Hoffnung, dass sich in Bulgarien etwas ändert. Morgen früh wird sie wieder demonstrieren gehen. Wie seit 7 Monaten schon. Gegen Korruption und Vetternwirtschaft.

Autorin: Susanne Glass, ARD Studio Wien

Stand: 15.04.2014 10:46 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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