So., 16.10.22 | 18:30 Uhr
Das Erste
Welt: Klimawandel kennt keine Grenzen
Dieser Ort hier hat meteorologische Geschichte geschrieben: Auf diesem Messfeld wurde im Jahr 1983 zum ersten Mal die 40 Grad-Marke in Deutschland gerissen. Damals, das war im Juli 1983, wurden genau hier 40,3 Grad gemessen: Damals gemessen am 27. Juli 1983. Für Klimaforscher war das ein Erweckungserlebnis, denn sie gehen davon aus, dass wir seit dem Ende der letzten Eiszeit hier in Mitteleuropa, nördlich der Alpen, niemals 40 Grad hatten. Wir haben ein recht gutes Klimaverständnis, zum Beispiel aus Baumringen. Aber bis 1983 gab es mit großer Wahrscheinlichkeit niemals 40 Grad. Dann passierte nach 1983 wieder viele Jahre nichts bis zum Jahr 2003: Wieder 40,2 Grad. Dann 2015: 40,3 Grad wurden gemessen. Und dann kam 2019. Der Rekordtag damals, auch im Juli, am 25. Juli, und es gab viele Wetterstationen, gerade im Westen Deutschlands, die hatten deutlich mehr als 40, manche mehr als 41, Grad.
Erfahrungen aus dem Ausland
Wie lernen wir, in unseren Städten mit der Hitze umzugehen? Da hilft ein Blick in andere Länder, wo es heute schon deutlich höhere Temperaturen gibt, zum Beispiel in Indien: Hier in Jaisalmer, im Nordwesten Indiens, ist das Thermometer Mitte Mai auf knapp 50 Grad gestiegen. Und auch wenn man im Wüstenstaat Rajasthan heiße Temperaturen gewohnt ist, haben die Menschen nur begrenzte Möglichkeiten, sich gegen diese extreme Hitze zu schützen: Fote Khan und seine Familie wohnen in einem kleinen Dorf abseits der Stadt. Das Kamel Lallu ist ihr wichtigster Besitz. In der Touristensaison sorgen die Ausritte in die Wüste für ihre Einnahmen. Auf die Klienten wartet Fote Khan oft stundenlang in der prallen Sonne: "Die Hitze ist so stark, dass wir am ganzen Körper schwitzen. Oft haben wir mit Wüstenwinden zu kämpfen, wo wir von kleinen Steinen getroffen werden. Aber wir haben keine andere Möglichkeit, als auch bei solchem Wetter arbeiten zu gehen."
Die achtköpfige Familie lebt in dieser kleinen Strohhütte. Es gibt keinerlei Möglichkeiten, den etwa 15 Quadratmeter großen Raum zu kühlen. Und doch ist es für sie der einzige Ort, der zumindest etwas Schutz vor der Sonne bietet. Die Familie hat sechs Kinder, darunter die achtjährigen Zwillinge Hasina und Madina. Auch sie leiden unter den extremen Temperaturen: "Es ist immer sehr, sehr heiß. Es fühlt sich an, als würde meine Augen brennen. Wir tragen ja immer Plastikschlappen. Manchmal ist es so heiß, dass die Sohlen glühen."
Vor kurzem stiegen die Temperaturen in Jaisalmer auf knapp 50 Grad. Madina erlitt einen Hitzeschlag. Kurzzeitig dachte Mutter Bhachai Khan, dass sie ihr Kind verloren hätte: “Die Nachbarn kamen dann und haben ihr Wasser ins Gesicht geschüttet, damit sie wieder zu sich kommt. Nach diesem Vorfall habe ich meinen Töchtern verboten, in die Sonne zu gehen. Ich habe eine kleine Ecke im Schatten eingerichtet und sie nicht mehr in die Mittagshitze gelassen.”
Die "kühle" Schule
Der Schulbus, der jeden Morgen Hasina und Madina Bano abholt, bringt die Zwillingsschwestern in eine andere Welt, eine, in der sie der unsäglichen Hitze entfliehen können. Ihre Schule wurde speziell entworfen, um die hohen Temperaturen aus den Klassenzimmern zu halten: In den Klassenräumen der reinen Mädchenschule ist es teilweise bis zu 15 Grad kühler als draußen – und das ganz ohne Klimaanlage. Die angenehmen Temperaturen kommen sowohl den Lehrerinnen als auch den Schülerinnen zugute.
Arya Nair gehört zum Architektenteam. Viele Jahre haben sie am Konzept der selbstkühlenden Schule gearbeitet. Eine der wichtigsten Faktoren für die Kühlung sei die spezielle Elipsenform des Gebäudes: “Die Architektur hilft dabei, dass der Wind innerhalb des Gebäudes zirkulieren kann. Der Wind kommt über die Längsachse. Er trifft also auf das eine Ende der Schule und kreist dann im Innenhof. Die höchsten Windgeschwindigkeiten haben wir so in den Fluren und Gängen. Und das hilft wiederum bei der Kühlung der Schulräume.”
Innerhalb der Räume sorgen Kalkwände und höher gelegene Fenster dafür, dass sich die Hitze nicht im Klassenzimmer staut. Auf dem Dach der Schule liegen viele verschiedene Fliesen, die die Sonnenstrahlen abweisen. Selbst im Innenhof, in dem die Mädchen in den Pausen spielen, steigen die Temperaturen dank der ständigen Windzirkulation nie ins Extreme. Genau deshalb wünschen sich Madina und viele andere Mädchen, dass sie den ganzen Tag hier verbringen könnten. Die Schule - für viele ist sie der einzig wirksame Schutz vor der sengenden Hitze.
Für uns in Deutschland wäre eine Lösung Wasser, egal ob Springbrunnen oder Trinkwasserspender oder Nebeldüsen – all das würde helfen. Eine andere Lösung: Grün, Stadtgrün: Man spürt es direkt, wie angenehm frisch es in einem Park ist. Parkanlagen sind unglaublich effizient darin, wenn es darum geht, unsere Städte zu kühlen. Eine Studie des Deutschen Wetterdienstes hat gezeigt, dass es in einem Park um bis zu zehn Grad kühler sein kann, als nebenan in der dicht bebauten Stadt, wo es kein Grün gibt. Das heißt, wir müssen dieses Grün, wir müssen die Bäume dorthin holen, wo wir leben: in die Straßen, rein in die Stadt. Wir brauchen weltweit solche konstruktiven Lösungen – und zwar schnell, denn die Temperaturen steigen weiter.“
Autoren: Karsten Schwanke und Oliver Mayer
Regie: Susanne Glass
Stand: 17.10.2022 09:54 Uhr
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