Mo., 01.10.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Spanien: Exil für Venezolaner
Jeden Morgen um zehn, Terminal Vier im Flughafen Madrid: hier kommen auch Flüchtlinge an, ganz unspektakulär. Etwa der Venezolaner Wael Sawab: er hat den Linienflug aus Caracas vor einem Monat genommen und ist als Tourist nach Spanien eingereist – ganz legal. Doch wie so viele andere auch will er bleiben.
Der 28-Jährige, dessen Eltern vor Jahrzehnten aus Syrien nach Venezuela einwanderten, ist vor der schlimmen Misswirtschaft in seiner Heimat geflohen: "Viele Venezolaner kommen als Touristen nach Spanien. Das ist unser Vorteil, wir brauchen kein Visum. Danach suchen wir nach Möglichkeiten, legal hier zu bleiben. Deswegen ist das eine lautlose Migration."
Auf seinem Handy: Fotos aus besseren Zeiten von Familie, Freunden und seinem Job als Ölarbeiter im Helikopter auf dem Weg zu einer Plattform – alles vorbei.
Fluchtpunkt Madrid
Spaniens Hauptstadt Madrid wird nun zum Fluchtpunkt: wer das Geld für ein Flugticket hat, reist hier ein. Fast 300.000 Venezolaner sollen mittlerweile in ganz Spanien leben.
Nach dem Chaos in der Heimat die Ruhe einer europäischen Metropole – Wael trifft sich mit Yuruaní Meza; die Venezolanerin hilft Neuankömmlingen bei den Behördengängen. Wael hat bei der staatlichen Ölfirma seines Landes gearbeitet; weil er dort als Oppositioneller galt, war er Repressalien ausgesetzt. Deswegen will er politisches Asyl beantragen – Ausgang ungewiss: "Alles braucht viel Zeit. Und so befindet man sich im juristischen Niemandsland. Du hast keine Arbeitserlaubnis, kannst nicht für Deinen Unterhalt sorgen. Es ist sehr schwierig."
Yuruani Meza von der Vereinigung "Venezolaner in Madrid": "Die Venezolaner leben im Ausnahmezustand, wie im Krieg. Auch hier in Madrid bleibt die Angst, weil unsere Familien noch immer dort sind."
Mit Wael besuchen wir ein Treffen von Venezolanern in Madrid – man hilft sich gegenseitig mit Kleiderspenden oder Lebensmitteln. Es ist vor allem Venezuelas Mittelklasse, die sich in Spanien wiederfindet: Menschen, die ihr Erspartes aufbrauchen und hoffen, dass es irgendwie weitergeht. Hinter ihnen liegen schlimme Erlebnisse, wie Marías Geschichte zeigt: "Ich bin in meinem Haus überfallen und misshandelt worden. Und weil ich danach immer Panikattacken hatte, haben wir uns entschieden, Venezuela zu verlassen."
Und dann besingen sie ihre alte Heimat – es ist eine Mischung aus Verzweiflung und trotziger Sehnsucht.
Vermögende Venezolaner auf Wohnungssuche
Nicht weit entfernt liegt Madrids Nobelviertel Salamanca – hier treffen sich die Schönen und Reichen, und neuerdings auch immer mehr Venezolaner. Etwa Rolando Seijas: er hat in Salamanca seine Investmentfirma. Auf der Straße wird der Unternehmer sofort erkannt. Früher war er Präsident der Handelskammer in Caracas und machte dort mit Immobilien Geschäfte – das klassische Feindbild für das Regime von Hugo Chavez und Nicolás Maduro.
Nun zieht es Venezuelas Oberschicht massiv nach Spanien. In Madrid findet der Unternehmer vor allem Rechtssicherheit. Hier droht keine Enteignung: "Madrid wird zur Hauptstadt der Venezolaner, für Unternehmer, Gutausgebildete. Das liegt auch daran, dass wir uns hier sofort wie zuhause fühlen."
Der Exodus bedeutet aber auch den Abzug von Kapital und Know-how aus Venezuela: "Ich glaube, die Abwanderung von Fachkräften wird langfristig positiv sein. Wenn nur die Hälfte der Ausgewanderten später zurückkehrt, wird Venezuela von der Erfahrung profitieren, die wir im Ausland machen konnten."
Doch in Madrid freuen sich nun erst einmal die Immobilienagenturen: Die Maklerin Anna Molgó gerät fast ins Schwärmen, wenn sie von ihren venezolanischen Kunden spricht. Die kaufen problemlos Luxusobjekte im Millionenbereich. Ein schöner Nebeneffekt: wer in Spanien eine Immobilie ab 500.000 Euro erwirbt, bekommt automatisch eine Aufenthaltsgenehmigung. Allein in Salamanca sollen Venezolaner bis zu 7000 Apartments gekauft haben.
Anna Molgó, Immobilienmaklerin bei Barnes: "Für sie ist das zunächst eine Investition. Manche wohnen dann selbst in der Immobilie, andere vermieten oder renovieren die Objekte. Insgesamt kommt auf diese Weise viel Kapital nach Spanien – und nicht nur wegen der Wohnungskäufe. Viele Venezolaner gründen auch ihr eigenes Unternehmen, und das sehr erfolgreich."
Der Wunsch nach Normalität
In einer Markthalle in Madrid treffen wir den Ölarbeiter Wael wieder. Wie lange reicht das Ersparte, wann wird er arbeiten können – das sind die Fragen, die ihn beschäftigen. Immerhin trifft er hier an den Ständen Landsleute und sieht Produkte, die er in seiner einstigen Heimat wohl vergeblich suchen würde: von Käse bis Mais aus Venezuela gibt es hier alles – ein Stück Heimat in der Diaspora und ein Überangebot, das ihn traurig macht: "Der Eindruck, den man aus Venezuela mitnimmt, ist: es gibt nichts. Und wenn Du dann so einen Markt siehst, fragst Du Dich, warum so etwas nicht in Deinem eigenen Land möglich ist. Es tut sehr weh."
Noch akzeptiert Spanien die lautlose Migration aus Lateinamerika, aber wie lange noch? Wael Sawab, der Venezolaner mit syrischen Wurzeln, hofft, dass er eine Chance erhält.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid
Stand: 28.08.2019 08:58 Uhr
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