Mo., 12.06.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Drogentote als Organspender
Ohne den Beistand ihres Bruder hätte Rhonda es nicht durchgestanden: 15 Jahre lang war sie schwer nierenkrank, vier Jahre lang Dialyse, um das Gift aus dem Körper zu waschen, Lebensgefahr! So sieht ihr Oberarm aus – nach all den Einstichen. Doch nun hat sie im Bauch eine Spenderniere, entnommen von einem Drogentoten.
Dankbarkeit gegenüber den Spendern
Rhonda Copeland ist dankbar: "Erst denkt man: eine Niere von einem Drogentoten? Die willst du nicht haben! Aber man bekommt nie eine perfekte Niere; die kann Dir nur ein Lebender spenden. Ich danke dem toten Spender in meinen Gebeten. Das ist der einzige Weg!"
"Lebensspender" steht auf dieser Medaille. Eileen Grugan hat sie für ihren Sohn Charles bekommen. Er war an einer Überdosis Heroin gestorben – mit 33. Im Krankenhaus hatten sie sein Leben nicht mehr retten können: "Die Ärzte sagten, der Schaden im Gehirn ist zu groß, er werde nicht mehr ins Leben zurückkehren. 'Können Sie sich vorstellen, seine Organe zu spenden?' Und wir haben alle gleichzeitig 'Ja.' gesagt. Es war keine Frage. Er war als Spender registriert, wollte immer etwas Großartiges tun. Und das hier war es."
Immer mehr Organe von Drogentoten
Dem toten Charles wurden Herz, Niere und Leber entnommen. Jetzt muss es schnell gehen. Und die Information über seine Organe kamen in einem solchen Transplantationszentrum an. Nach Bedürftigkeit wird nun landesweit entschieden, wer die lebensrettenden Organ bekommen soll. Leiter Howard Nathan sagt, immer mehr Organe stammen inzwischen von Drogentoten: "Es gibt einen deutlichen Anstieg bei den Heroin- und Opiat-Toten in den USA. Sie enden mit einer Überdosis in der Notaufnahme, sie werden wiederbelebt und ihr Herzschlag kommt zurück. Aber das Gehirn hat wegen des Heroins zu lange keinen Sauerstoff bekommen. Sie sind hirntot. Und Hirntod ist genau die Situation, in der Organe gespendet werden können."
Was für viele Kranke ein Segen ist, ist das Ergebnis einer großen Krise: Das Krankenhaus von Brookhaven auf Long Island – fast jede Woche werden hier Menschen mit einer Überdosis eingeliefert. Sydney de Angelis leitet die Notaufnahme: "Der jüngste Fall mit Überdosis war 17 – er starb. Die älteste war 64. Es ist eine Epidemie, sie geht quer durch alle Altersklassen und sozialen Schichten, Leute aus guten Familien, die sich das nie vorstellen konnten."
Eine wahre Epidemie
Es sind Leute wie sie: In der Aula der Tottenville Highschool, ganz in der Nähe, wird ihnen Hilfe angeboten. Gekommen sind Drogensüchtige und ihre Familienangehörigen. Die Epidemie hat die Vorstadt erreicht. Viele sind über vom Arzt verschriebene rezeptpflichtige Schmerzmittel süchtig geworden, wie Oxycontin: es wirkt auf das Hirn wie ein Opiat, für viele die Einstiegsdroge.
Andrew Kolodny von der Brandeis University: "Die Leute wechseln zu Heroin, weil es billiger ist. In den letzten zehn Jahren ist Heroin in Orten angekommen, in denen es früher nicht mal zu bekommen war. Die Zahl der Amerikaner, die durch Schmerzmittel abhängig werden, ist in den letzten 20 Jahren um 900 Prozent angestiegen."
Auch der Spender Charles stammte aus gutbürgerlichem Haus: er ging aufs College. Auch er kam über Oxycontin zum Heroin. Über zehn Jahre kämpften Mutter und Schwester für ihn gegen die Sucht – retten konnten sie ihn nicht. Dass er nun im Tod Leben gerettet hat, tröstet. Mutter Eileen Grugan gibt das Kraft: "Wir dachten immer wieder daran, dass es diese anderen Familien gab, die eine zweite Chance bekamen, während wir Abschied nehmen mussten."
Verbundenheit mit dem Spender
Rhonda weiß nicht, wer genau ihr Spender war. Was sie weiß: sie hat ihre Niere von einem Heroinabhängigen wie Charles bekommen. Sie muss noch jeden Tag ihre Blutwerte überprüfen, aber die Todesgefahr ist vorbei, ihr Körper hat das fremde Organ angenommen. Heute ist sie froh, dass sie sich auf einen Risikospender eingelassen hat: "Ich habe diese kleine Beule, wie eine Erdnuss. Ich denke dauernd an den Spender, wenn ich sie berühre. Dann erinnere ich mich, von wem sie kommt."
Howard Nathan, Leiter des Transplantationsnetzwerks Gift of Life: "Die meisten dieser Leute sind zwischen 15 und 45. Das sind keine Drogensüchtigen von der Straße, die sich beim Fixen alle möglichen Infektionen geholt haben. Das sind junge Leute, meistens gesund und ihre Organe sind vollkommen in Ordnung."
Rhonda ist im Dezember 2016 operiert worden. Kürzere Stecken kann sie schon wieder alleine laufen. Es geht ihr von Tag zu Tag besser.
Autor: Markus Schmidt, ARD New York
Stand: 16.07.2019 00:43 Uhr
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