So., 01.12.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Westjordanland: Es werde Licht – dank Frauenpower
Das palästinensische Dorf Jubbet ad-Dhib in den judäischen Bergen des Westjordanlandes. Ein scheinbar gottvergessener Ort: Jahrzehnte ohne Strom, ohne Wasser, ohne Anschluss an die Gegenwart.
Die Frauen haben übernommen und plötzlich kam das Licht
"Im Sommer konnten wir wegen der Hitze kaum schlafen. Keine Ventilatoren! Totlangweilig, wir hatten nicht mal Fernsehen", erzählt Abdullah al-Wahash. Doch dann kamen sie. Seine Heldinnen. "Die Männer im Dorf haben alles probiert, aber nichts erreicht. Dann haben die Frauen übernommen und plötzlich kam das Licht", so Abdullah al-Wahash. Abdullahs Mutter Fadya schließt sich vor vier Jahren mit den anderen Frauen im Dorf zusammen. Sie hatten die Misere satt.
"Wir Frauen haben am meisten unter den Mängeln gelitten. Wir sind immer da und sehen bei der Hausarbeit, was unsere Kinder alles entbehren müssen. Also haben wir unsere Kinder in Busse gepackt und sind ohne Anmeldung zum Gouverneur gefahren, um für unsere Forderungen zu protestieren", erzählt Fadya al-Wahash.
Der Beginn ihrer Erfolgsstory. Der palästinensische Gouverneur genehmigt zähneknirschend ihr Solarprojekt, das eine israelische Hilfsorganisation zusammen mit den Niederlanden bezahlt. Seither erzeugen sie in Jubbet ad-Dhib ihren eigenen Strom.
Mit dem Strom kommt Leben ins Dorf. Die Kinder bekommen Routine im Umgang mit Computern. Die Frauen gründen einen Lebensmittelladen, einen kleinen Baumarkt, einen Verleih für Musikanlagen bei Hochzeiten, eine Bibliothek und eine Schneiderei. Arbeitsplätze entstehen.
"Mit dem Solarstrom kann ich jederzeit die Maschinen betreiben. Ich hoffe, dass ich das Geschäft bald erweitern kann. Mit zusätzlichen Nähmaschinen und zwei weiteren Mitarbeiterinnen", so Amina Dawoud al-Wahash, Näherin.
Nicht jeder feiert den Aufstieg der Frauen
Doch nicht alle in dem sehr traditionell geprägten Dorf feiern den Aufstieg der Frauen. "Nicht nur ich selbst, sogar mein Mann wurde wegen meiner Arbeit angefeindet. Andere Männer haben gesagt: Habt ihr denn keine echten Kerle, die euch zeigen, wo es lang geht", erzählt Fatima al-Wahash. Mann: "Zu diesem Thema äußere ich mich nicht." Die Männer im Dorf wissen noch nicht so recht, wie sie mit ihren Powerfrauen umgehen sollen, die nun faktisch das Sagen haben. Jetzt haben sie zwar Strom, aber das männliche Ego ist angekratzt. Im Moment hilft nur Altersmilde.
"Unsere Frauen sind stark. Sie krempeln die Ärmel hoch. Sie sagen, was sie wollen. Und sie bekommen, was sie wollen – weil wir tatsächlich ein bisschen Angst vor ihnen haben", sagt Ahmad Salameh.
Die starken Frauen von Jubbet ad-Dhib haben sich in der orientalischen Männerwelt ihren Platz und ihren Respekt erkämpft. Doch die Freude dauert nicht lange. Vor zwei Jahren rückte die israelische Militärbehörde an, die auch für die Verwaltung in den Palästinensergebieten zuständig ist, und beschlagnahmte ihre Solaranlage.
Begründung: Sie war ohne Genehmigung errichtet worden. Das Dorf liegt in dem Gebiet des besetzten Westjordanlandes, das von Israel voll kontrolliert wird. Die Frauen ließen sich nicht unterkriegen. Sie traten ins Rampenlicht internationaler Medien, bauten zusammen mit ihren niederländischen Geldgebern Druck auf. Ein paar Monate später gab Israel nach und die Solarpaneele wieder frei.
Druck auf Politiker
Seither fließt der Strom wieder. Allerding fehlt es noch immer an ausreichend Wasser. Zwar haben sie erreicht, dass Jubbet ad-Dhib ans palästinensische Wassernetz angeschlossen wurde. Aber in der trockenen, bergigen Gegend ist Wasser knapp. Vor allem im Sommer. Wieder machen die Frauen mobil. Fadya und Fatima auf dem Weg zum Gouverneur nach Bethlehem. Er solle sich endlich etwas einfallen lassen. Kampferprobt wissen die beiden längst, wie man Druck auf Politiker macht. Sie haben Entwicklungshelferinnen aus Europa und den USA dazu bestellt. Ob das hilft? "Na, klar. So sind wir stärker", sagt Fadya al-Wahash.
Und tatsächlich. Angesichts der internationalen Gästeschar, die Fadya und Fatima um sich versammelt haben, kann der Gouverneur gar nicht anders als zwei Frauen aus einem für ihn wohl unbedeutenden, winzigen Dorf solange zuzuhören, wie sie es wollen.
"Das Wasser aus der Leitung erreicht unser Dorf gar nicht erst. Es ist aber mein Recht, dass das Wasser bis in mein Haus fließt", erzählt Fatima al-Wahash. "Wir könnten euch einmal die Woche Wasser liefern. Dafür müssen wir in dieser Zeit eure Nachbardörfer vom Netz nehmen. Dann könnt ihr kurz eure Tanks füllen. Das müssen wir mit den anderen Gemeinden noch abstimmen", so Kamel Hmeid, Gouverneur Bezirk Bethlehem.
Revolution der Frauen hat sich herumgesprochen
Viel mehr können sie von den Behörden im Moment nicht erwarten. Deshalb haben Fadya und die anderen Frauen die Männer an die Arbeit gerufen und lassen sie einen unterirdischen Wasserspeicher graben. Sie wollen mit dem Regenwasser vom Winter den heißen Sommer überbrücken. Natürliche Wasserkühlung inklusive. Und wieder kommt die Lösung von den Selfmade-Frauen.
"Unser Selbstbewusstsein ist gewachsen und unser Mut. Starke Frauen können viel erreichen. Nicht alles, was sie sich wünschen, aber alles was sie zum Leben brauchen", sagt Fatima al-Wahash.
Die Frauen von Jubbet ad-Dib – ihre kleine Revolution hat sich im Westjordanland rumgesprochen. Frauen aus anderen Gemeinden fragen sie immer häufiger um Rat und wollen ihrem Beispiel folgen.
Autor: Mike Lingenfelser / ARD-Studio Tel Aviv
Stand: 02.12.2019 19:52 Uhr
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