"China ist Wachstumsmotor Nr. 1 für Deutschland"
Der Präsident der EU-Handelskammer, Jörg Wuttke, im Interview
Geht es in China wirklich weiter Richtung Marktwirtschaft oder ist das nur Show für westliche Staaten?
Die Partei hat vor zwei Jahren ein Super-Reformprogramm vorgelegt. Da wurden auch immer wieder die Marktkräfte zitiert, die man stärken will. Aber China ist noch zu zentral regiert, zu zentral geplant. Und natürlich gibt es auch in China Widerstandskräfte und da ist dann die Frage – wie stark sind die, welche Interessensgruppen stellen sich gegen Reformen, wer verliert darüber vielleicht seinen Einfluss, seine Macht. Von den Reformen ist bisher noch nicht so viel umgesetzt worden. Der Plan ist gut, aber vielleicht müssen wir noch bis 2017 warten, bis eine neue Regierung im Amt ist.
Kann man eine Marktöffnung vorantreiben und gleichzeitig politisch und ideologisch repressiv agieren, so wie es China tut?
Man dachte immer, dass das nicht geht, aber die Chinesen haben geschafft, das Unglaubliche zusammenzuführen. Im Grunde genommen ist das jetzt ein leninistisches System mit einem manchesterkapitalistischen Gefüge. Also ich würde nicht ausschließen, dass in der Tat, das Regime autoritär regiert, und Liberalisierungen im Wirtschaftssektor weiter voranschreiten, so wie bisher.
Wie abhängig ist Deutschland von China?
Vom prozentualen Anteil eigentlich gar nicht, aber wenn man sich anguckt, wie stark deutsche Firmen hier engagiert sind, wie viele Profite der Automobilindustrie nach München, Wolfsburg und Stuttgart gehen, dann sehen wir das auf einmal ganz anders.
Dann ist da doch eine starke Abhängigkeit. China ist der größte Automobilmarkt der Welt und wenn wir in China ein Problem hätten, dann sicherlich auch eine Erkältung zu Hause in Deutschland.
Welche Rolle spielt Deutschland im China der Zukunft?
Für Deutschland ist China der Wachstumsmotor Nr. 1, es gibt kein zweites China, und wenn China ein Problem hat, dann werden wir sicherlich ein oder zwei Jahrzehnte warten müssen, bis wir etwa in Indien entsprechend ankommen.
Was Qualität anbelangt, wird sich China weiterhin an Deutschland orientieren, das wird auch noch die nächsten Jahre so sein. Außerdem hat China eine hohe Affinität zu Deutschland, das fängt beim Fußball an, geht über unsere High-Tech-Produkte und jetzt verstärkt auch über den Tourismus.
Was macht der deutschen Wirtschaft am meisten Sorgen?
Die Wirtschaft in China bewegt sich gerade vom herstellenden Gewerbe weg zu mehr Service. Das Problem ist, dass wir bei der Produktion super sind, etwa in der Automobilindustrie oder der Chemieindustrie, aber im Servicesektor kaum Zugriff haben, weil die Regelungen so strikt sind, also Logistik, Bankenwesen, Erziehung, Gesundheit, Versicherungen. Wir bewegen uns in China hin zu einer serviceorientierten Wirtschaft, aber da existieren die größten Hürden für Ausländer.
Was gibt es außerdem für Ungerechtigkeiten?
Bei den Umweltauflagen zum Beispiel. Eigentlich sind die Gesetze in China top – zum Teil noch schärfer als in Europa. Und dann guckt man sich in der Landschaft um und kommt ins Grübeln, weil die Ausländer sich daran halten müssen, die staatseigenen Betriebe aber nicht. Das ist ein klarer Wettbewerbsnachteil. Deswegen mahnen wir immer an, dass sie doch mal ihre eigenen Gesetze anwenden sollen, damit alle auf demselben Niveau sind und damit auch die Glaubwürdigkeit der Lokalregierung bei der Bevölkerung wächst. Denn die wissen ganz genau, was in den Gesetzen steht, und sie wissen um den Protektionismus und Nepotismus, der da die Umweltschäden quasi subventioniert.
Warum werden die eigenen Gesetze in China nicht eingehalten?
Die Hauptstadt Peking mit all ihren Ministerien und Think Tanks setzt die Messlatte, aber vor Ort stellen sich die Behörden dann die Frage – mache ich jetzt die Papierfirma zu, gucke ich mir jetzt genau an, was da für Abfälle ins Wasser gehen und schließe damit vielleicht den einzigen Arbeitgeber in der Region – oder nicht. Und dann werden nicht nur ein, sondern zwei Augen zugemacht. Und Peking hat in dem Land auch nicht immer die Durchsetzungsmöglichkeiten, um das zu verhindern.
Das Interview führte Ariane Reimers.
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