Mo., 17.07.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Zentralafrikanische Republik: Der vergessene Bürgerkrieg
In diesem Stadtteil von Bria wohnten bis vor kurzem Tausende Menschen. Doch die Milizen ließen kaum einen Stein auf dem anderen. Wer hier lebte musste fliehen, um sein Leben zu retten. Nur wenige Kilometer weiter, kurz hinter der Stadtgrenze, stehen unzählige Hütten, einfache Holzgestelle, notdürftig mit Plastikplanen überzogen. Hierher flüchteten viele Menschen aus Bria und fingen an, neben einem UN-Stützpunkt Hütten zu errichten.
Angst vor der Miliz
Delphine Dakala ist vor zwei Tagen ins Camp gekommen. Aus Gras, Reet und einer Plane baut sie ein provisorisches Zuhause. Sie hat Schreckliches erlebt: "Die Rebellen kamen und haben mein Haus niedergebrannt. Danach bin ich hierher gekommen", erzählt sie. "Nachdem das Haus niedergebrannt war, haben sie davor meinen Bruder ermordet." Zuerst hatte sie sich mit ihren Kindern im Busch versteckt, doch dort fanden sie nichts zu essen. Zurück in die Stadt zu gehen traute sie sich nicht. Denn Delphine Dakala ist Christin und hat Angst vor der muslimischen Miliz, die in Bria auf den Straßen patrouilliert. 41.000 Menschen, etwa 85 Prozent der Bewohner Brias, sind geflohen. Viele leben jetzt hier im Camp. "Die Menschen können nicht zu ihrer Arbeit zurückkehren", erzählt Bürgermeister Maurice Balikozo. "Sie können sich nicht mehr als fünf Kilometer von hier entfernen. Alle Straßen sind blockiert. Sie können nicht auf die Felder gehen, selbst nach Essen zu suchen ist sehr schwierig. Alle sitzen fest."
Zuflucht im Krankenhaus
Als die Kämpfe tobten, suchten viele Menschen aus Bria auch im örtlichen Krankenhaus Zuflucht. Dort werden immer noch Verwundete von Ärzte ohne Grenzen versorgt, egal ob sie Christen sind oder Muslime, Einwohner oder Milizionäre. In einem der Schlafsäle liegt Lilian Oujoli. Es ist ein Wunder, dass sie und ihr Säugling überlebt haben: "Sie nahmen mein Baby aus den Armen meiner Mutter und warfen es auf den Boden", erzählt sie. Dann töteten die Milizen ihren Ehemann und ihre zwei Brüder, erstachen ihre Mutter mit einem Bayonett und schossen ihr ins Bein, sagt sie. Das Haus brannten sie nieder. "Ich finde, die Regierung muss die Bevölkerung schützen", sagt Lilian Oujoli. "Sie müssen sie aufhalten, uns abzuschlachten. Aber das macht die Regierung im Moment nicht für die Bevölkerung." Hilfe ist nicht zu erwarten, die Regierung kontrolliert nur wenige Regionen im Land und die Hauptstadt Bangui. Sobald sie gesund ist, will Lilian dorthin ziehen, zu Verwandten. Hier hält sie nichts mehr.
Einfluss der Friedensgruppen ist gering
Die schlimmste Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik war eigentlich Ende 2013 vom französischen Militär beendet worden und auch die UN schickte Friedenstruppen ins Land. Sie sind noch immer in Bria stationiert. Doch ihr Einfluss ist gering. Die Kämpfe zwischen den Milizen und ihren zahlreichen Splittergruppen flammen immer wieder auf. Im Mai und Juni dieses Jahres traf es Bria besonders hart. Mehr als 100 Menschen starben. Die Stadt ist jetzt in den Händen einer muslimischen Gruppe. Doch auch die christlichen Milizen sollen sich immer noch hier aufhalten, zwischen den zerstörten Häusern, berichten die Einwohner.
Manche fühlen sich trotzdem sicher
Trotz der Kämpfe haben Geschäfte im kaum zerstörten Stadtzentrum von Bria geöffnet. Alltag – aber nur auf den ersten Blick. Bewaffnete Kämpfer der Volksfront für die Renaissance Zentralafrikas, kurz FPRC genannt, sind überall zu sehen. Mechaniker Bienvenue Angba hat seine Arbeit wieder aufgenommen. Er ist Christ, aber er fühlt sich dennoch sicher. "Die Menschen können jetzt zurückkehren", sagt er. "In der Nacht suchen die Leute nach den bewaffneten Gruppen. Die Sicherheit ist jetzt besser seit es die Patrouillen gibt und die Menschen können sicher zurück in ihre Häuser kehren."
Gegenseitige Beschuldigungen
Doch wer ist wie gefährlich? Jeder in Bria schätzt das anders ein. Wer ist für welchen Angriff verantwortlich? Vor Ort kaum auszumachen. Die Christen und die Muslime hier in Bria beschuldigen sich gegenseitig. Doch im Konflikt geht es längst nicht mehr um Religion, die Gruppen sind zersplittert, haben sich neu zusammengesetzt. Es geht um Macht und Geld, wie Herve Yangani von der Hilfsorganisation "Cooperazione Internazionale" erklärt : "Da ist der Diamantenhandel. Da ist der Krieg im Land. Die Warlords. Die Anwesenheit der Warlords verhindert, dass die Menschen sich frei bewegen können, dass die Leute zurückkehren." Die meisten, die geflohen sind, werden nicht heimkehren, solange die Milizen die Stadt kontrollieren. "Solange die bewaffneten Gruppen in Bria sind, können die Menschen nie in Frieden leben. Und die humanitäre Situation hier wird weiter so prekär sein, im Camp und in der Stadt", sagt Herve Yangani.
Katastrophale Lebensbedingungen
Im Flüchtlingslager versuchen Hilfsorganisationen, für das Nötigste zu sorgen. Sie haben eine Wasserstelle angelegt und verteilen immer wieder Nahrung. Doch es gibt zu wenig für alle. Auch Delphine Dakala weiß nicht, wie es weitergehen soll, doch sie muss an ihre fünf Kinder denken. "Es gibt keine anständigen Duschen. Wir haben nichts zu essen, keine Medizin", sagt sie. "Wir leiden. Was sollen wir machen? Was sollen wir essen? Wir müssen eine Lösung finden, um Frieden zu bekommen." Die katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen in Bria: Sie stehen stellvertretend für viele Orte im Land.
Autoren: Zack Baddorf und Caroline Hoffmann, ARD-Studio Nairobi
Stand: 16.07.2019 07:08 Uhr
Kommentare