Mo., 17.07.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
USA: Streit um Gesundheitsreform
Casey und Cameron sind zwei typische Mädchen im Grundschulalter. Aber auch zwei Gesundheits- und Kostenrisiken. Infektionen, Knochenbrüche, das Übliche eben, was Familien so trifft. In den USA aber geht das richtig ins Geld. Ihre Eltern Shaun und Mary Kirby haben immer gerade Schulden bei irgendeinem Arzt. Wie etwa 40 Prozent aller Amerikaner übrigens. Ob die Gesundheits-Reformpläne der Republikaner daran wirklich etwas ändern ist fraglich.
10.000 Dollar Selbstbeteiligung im Jahr
"440 Dollar kostet der Krankenkassenbeitrag alle zwei Wochen, also ungefähr 900 Dollar im Monat", erzählt Mary Kirby. "Und dazu stottern wir noch verschiedene Arztrechnungen ab. Das sind dann noch mal 800 Dollar pro Monat extra. Für Anästhesie bis hin zu Bluttests." Dabei sind die Kirbys Doppelverdiener. Beide arbeiten im Management großer Gärtnereien. Sie haben eine sehr gute Krankenversicherung, sagen sie, aber die springt eben erst ein, wenn die Familie 10.000 Dollar Selbstbeteiligung pro Jahr erreicht hat. Die neue Normalität in den USA. "Wir überlegen manchmal ehrlich gesagt, ob wir nicht auf die Krankenversicherung verzichten und einfach Cash bezahlen sollten", sagt Mary Kirby. "Was ist sie denn wert, wenn man dafür schon 900 Dollar im Monat bezahlt und dann immer noch 10.000 Dollar Selbstbeteiligung pro Jahr hat?"
"Obamacare hat Kosten in die Höhe getrieben"
Trotz des Verletzungsrisikos spielen Cameron und Casey Hockey. Ihre Eltern haben Donald Trump gewählt, weil er eine Gesundheitsreform versprochen hat. Denn erst nachdem sein Vorgänger Obama einheitliche Versicherungspolicen für alle eingeführt hatte, sind die Kosten der Kirbys so drastisch gestiegen. Der Krankenkassenbeitrag hat sich verdoppelt, die Selbstbeteiligung versiebenfacht. Der Preis dafür, dass mit Obamacare nun viele Menschen mit Vorerkrankungen eine Versicherung haben. Das sei für sie ein Desaster, sagen die Kirbys: "Das ist so, als würden sie vorschreiben, dass jeder ein orangenes Auto fahren muss", erläutert Shaun Kirby. "Die Regierung hat entschieden: Alle müssen eine Versicherung mit denselben Leistungen haben. Sonst zahlt man Strafgebühren. Ich finde es falsch, dass sich der Staat da eingemischt hat. Das hat die Kosten in die Höhe getrieben."
27 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung
Paula Hill sieht die Reformpläne mit gemischten Gefühlen. Sie ist Krankenschwester beim kostenlosen Gesundheitsprogramm "The Health Wagon". Ein Projekt, das mit Spenden finanziert wird. Jeden Tag fährt sie in die ärmsten Gemeinden im Südwesten von Virginia. Trotz der Versicherungspflicht haben auch nach Obamacare immer noch 27 Millionen Menschen keine Krankenversicherung. Mit den Plänen der Republikaner könnten es noch viele Millionen mehr werden. "Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht", sagt Paula Hill. "Das sollte nicht nur ein Privileg für die Eliten sein. Die Leute werden doch arbeitsunfähig, wenn wir ihre Gesundheit hier so vernachlässigen."
Wird staatliches Fürsorge-Programm gekürzt?
Anna Wilson kommt gerade von der Frühschicht bei einer Fastfood-Kette und sucht beim Gesundheitswagen Hilfe. Die 38-Jährige kann sich trotz Vollzeitjobs keine Versicherung leisten. Sie weiß, dass sie Bluthochdruck und Diabetes hat. Doch sie schleppt sich zur Arbeit, auch wenn sie sich dabei hundsmiserabel fühlt. "Ich kann nur zum Arzt gehen, wenn ich mich wirklich todkrank fühle", sagt sie. "Und selbst wenn ich dann zum Doktor gehe und er mir dann ein Rezept gegen Bluthochdruck gibt, dann kann ich das auch nicht immer einlösen. Und wenn, dann versuche ich die Medikamente zu strecken, nehme sie nur jeden zweiten Tag, damit sie länger reichen." Ihr Mann ist arbeitsunfähig. Aber wenigstens über das staatliche Fürsorge-Programm Medicaid für Arme und Kranke abgesichert. Noch. Denn nach den Reformplänen der Republikaner soll Medicaid drastisch gekürzt werden. Sie selbst ist völlig hoffnungslos. "Jemand wie ich stirbt einfach", sagt Anne Wilson. "Traurig, vor allem, weil ich Kinder habe."
Viele Fragen an den republikanischen Senator
Palco ist ein 277-Seelen-Dorf. Selbst hier mitten in Kansas gibt es Aufregung über die Reformpläne in Washington. 84 Prozent der Einwohner im County haben Donald Trump und gewählt. Aber nun fürchten viele, ihre Krankenversicherung zu verlieren. Vor allem Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen. Der Senator aus Washington ist zur Bürgersprechstunde angereist. Der Republikaner Jerry Moran war immer gegen Obamacare. Doch nun gehen ihm die Reformpläne seiner eigenen Partei zu weit. Und er bekommt Druck von seinen Wählern, mit "Nein" zu stimmen. "Wie wäre es mit einer Krankenversicherung für alle?", fragen sie. "Warum bekommt ihr Politiker so eine tolle Versicherung? Warum verdienen wir das nicht?" Der Senator windet sich. "Ich habe für Sie da gerade keine zufriedenstellende Antwort", sagt er. "Dann brauchen Sie eine bessere", ruft einer im Saal. "Was tun Sie dafür, dass Krebspatienten mit der Reform ihre Versicherung nicht verlieren?", wird der Senator gefragt. "Vorerkrankungen weiter zu versichern und Beiträge und Zuzahlungen zu reduzieren muss das Ziel sein", sagt der. "Wie auch immer wir die Reform nun nennen. Noch sind wir im Moment im Senat nicht so weit und die Frage ist, ob wir dahin kommen. Darauf warte ich."
Der Senator muss zurück nach Washington. Ob seine Partei die schwierige Reform überhaupt hinbekommt, ist derzeit völlig offen.
Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Washington
Stand: 16.07.2019 07:08 Uhr
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