Mo., 18.04.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Spanien: Das Dorf der Korrupten
Mit windigen Geschäften kennt man sich im kleinen Ort La Muela aus. Hunderte Windräder machten das Dorf bekannt und auch reich. Doch nun hat sich der Wind gedreht. Jetzt steht La Muela für unglaubliche Korruption: Die frühere Bürgermeisterin Maria Pinilla soll sich in ihrer Amtszeit um 18 Millionen Euro bereichert haben. Vorwurf: Bestechung, Geldwäsche, illegale Absprachen bei Bauaufträgen. Ihr drohen nun 35 Jahre Haft.
"Ausmaß der Korruption ist brutal"
"Das Ausmaß der Korruption ist brutal. Bei 5.000 Einwohnern geht um es fast 100 Millionen Euro Schaden. Die Auswirkungen sind enorm", erzählt Stadtrat Jaime Ameller. La Muela ist, auf gut deutsch gesagt, pleite. Dafür gibt es erstaunliche Prachtbauten: Ein schickes Windmuseum, allerdings ist es permanent geschlossen. Weiter geht es zum Museum des Lebens – ebenfalls geschlossen. Das gleiche Bild beim Ölmuseum. Und dann wäre da noch das Auditorium, von einem japanischen Architekten entworfen. "Das Ganze hier ist der Wahnsinn einer Person. Die Bürgermeisterin ist morgens aufgewacht und hat sich wohl gesagt: Jetzt bauen wir mal was Japanisches. So lief das immer", sagt Jaime Ameller. Nebenan steht die überdachte Stierkampf-Arena.
36 Personen angeklagt
An solchen Projekten verdienten sich die ehrenwerten Dorfhonoratioren eine goldene Nase: Bauunternehmer, Architekten, Politiker. Jetzt sind 36 Personen angeklagt. Aber auch einfache Bewohner kamen auf ihre Kosten. Die Bürgermeisterin spendierte Urlaubsreisen in ferne Länder. Großzügig übernahm die Gemeinde die Hälfte der Reisekosten.
Kein Wunder, dass die Bürgermeisterin lange Zeit beliebt war – das hören wir auch in der Kneipe. Und wir spüren, dass das Dorf immer noch gespalten ist: "Solange alles funktioniert hat, waren doch alle dabei. Das hat sich erst geändert, als die Kosten aus dem Ruder liefen", sagt einer. "Leider ist das menschlich – wer Korruption sehen will, sieht sie, wer nicht, der schaut weg. Unter den Blinden ist der Einäugige König", ergänzt eine andere Person.
Krebsgeschwür Korruption
Vom Größenwahn sind nur noch Ruinen übrig geblieben. Früher hatte der Bauboom die Gemeindekasse prall gefüllt. Immer mehr Grundstücke verkaufte die Kommune – bis die Blase platzte. Im Rathaus sitzt nun ein junger Bürgermeister, Adrián Tello von einer linken Regionalpartei. Ein Gehalt bekommt er nicht – La Muela muss 16 Millionen Schulden abstottern. Bis vor Kurzem konnte der Ort nicht einmal den Strom für die Straßenbeleuchtung bezahlen. Wie ein Krebsgeschwür habe die Korruption Spanien im Griff, sagt der Bürgermeister: "Leider hat unserer Gemeinde eine richtige Kontrolle völlig gefehlt. Erst das hat uns in diese Situation gebracht. Und dann gab es im Dorf eben eine Mehrheit, der all diese Wohltaten gefallen haben."
Aber der tiefe Fall hat auch eine positive Seite: Immer mehr Bürger engagieren sich ehrenamtlich, etwa bei der kostenlosen Freizeit-Betreuung von Kindern. Wer hier mitarbeitet, will etwas gegen das schlechte Image der Gemeinde tun. "Es ist doch eine Verpflichtung für uns alle, aus dieser Lage wieder herauszukommen, mit Engagement und Angeboten", sagt Lehrer Juan Manuel Barrantes.
La Muela ist fast überall
In der Dorfkneipe möchten sie nur noch, dass ihr kleiner Ort keine Schlagzeilen mehr macht. Die Chancen dafür stehen nicht so schlecht, denn es vergeht kaum ein Tag in Spanien, an dem nicht anderswo ein neuer Skandal enthüllt wird. In Madrid ist gerade der Energieminister zurückgetreten – er hatte eine Briefkasten-Firma. "Für uns hier am Tisch sind die PanamaPapers etwas Alltägliches", sagt Bürgermeister Adrián Tello. "So etwas erleben wir schon seit Jahren."
So sehen sie also aus, die Abgründe in der spanischen Provinz. Doch das Dorf steht beileibe nicht alleine. La Muela ist fast überall.
Autor: Stefan Schaaf, ARD-Studio Madrid
Stand: 11.07.2019 15:01 Uhr
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