So., 21.03.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
USA: Jugendliche Migranten an der Grenze
Die Sonne ist gerade erst aufgegangen am Rio Grande, doch die Grenzschützer sind schon seit Stunden im Einsatz. Auch mit Drohnen suchen sie nach Geflüchteten, die hier von Mexiko aus über die Grenze kommen. Wer aufgegriffen wird, muss sofort zurück nach Mexiko – das ist die Regel, auch unter der neuen US-Regierung. Nur für eine Gruppe gibt es jetzt eine Ausnahme: für unbegleitete Minderjährige. Familien mit kleinen Kindern sind in der Grauzone, vom Goodwill der Grenzschützer abhängig.
Eine menschlichere Einwanderungspolitik hat Präsident Biden versprochen. Und erste Veränderungen zeigen sich am Busbahnhof in Brownsville: Eine Familien mit kleinen Kindern wurden von der Grenzpolizei hierhergebracht. Sie hatten Glück. So wie Leonardo aus Honduras, der sich mit seiner dreijährigen Tochter Cheily auf die gefährliche Reise gemacht hat: "In Honduras gibt es keine Bildung für sie. Einfach keine Möglichkeiten für uns, keine Arbeit, nichts." Und Vilma, Mutter der aufgegriffenen Familie fügt hinzu: "In meinem Land wurden wir bedroht, erpresst. Da habe ich meine Sachen gepackt und bin hierhergekommen." Drei Kinder hat Vilma dabei, kommt mit ihnen aus Guatemala.
Sie und andere aufgegriffene Familien werden versorgt und auf Corona getestet. Dann dürfen sie weiterreisen – meist zu Verwandten, die schon in den USA sind – und dort auf den Ausgang ihres Asyl-Verfahrens warten. Sie dürfen wir filmen, mit ihnen reden – alles scheint geordnet und routiniert abzulaufen.
Tausende Minderjährige sind eingewandert – und warten in Lagern
Das Chaos an der Grenze, von dem in diesen Tagen so viel die Rede ist, versteckt sich in Zelten des Lagers Donna. Es ist eines von jenen Erstaufnahmelagern der Grenzschutzpolizei, die völlig überfüllt sind. Tausende von Minderjährigen sind in den vergangenen Wochen alleine über die Grenze gekommen. Alexis Bay ist Juristin bei der Hilfsorganisation Texas Civil Rights Project. Die Behörden seien überfordert, kritisiert sie. Die Kinder dürften eigentlich nur drei Tage hier festgehalten werden – im Moment blieben viele deutlich länger. "Schauen Sie: Es gibt überhaupt keine Fenster. Die Leute in den Zelten wissen nicht, ob draußen Tag oder Nacht ist. Es gibt auch keinerlei Spielplätze", sagt Alexis Bay.
Neveras – Kühlschränke, so nennen die Kinder diese Lager. Alexis durfte vergangene Woche hinein in das Lager Donna, wenn auch nur in den Hof – mit Jugendlichen und Kindern sprechen. Was sie hörte, hat sie erschüttert: "Diese Kinder gehen nicht zur Schule, sie haben keinerlei Spielzeug. Es gibt nur einen Fernseher, auf dem immer wieder dieselben Filme laufen. Sie sagten uns: 'Wir schlafen, stehen auf, essen, und schlafen wieder.' Nur ein paar von ihnen waren überhaupt schon mal draußen zum Spielen. Ein Mädchen, etwa 13 Jahren alt, war seit acht Tagen im Lager – und als sie sich mit uns traf, war sie zum ersten Mal draußen und sah die Sonne."
Kinder-Heime oder Pflegefamilien auf Zeit gefordert
Zurück in Brownsville: Auch Olivia und Liza kümmern sich um junge Geflüchtete. Beide kamen einst selbst als Kinder von Mexiko in die USA. Olivia kämpft nicht nur dafür, dass die Kinder möglichst schnell aus den ungeeigneten Erstaufnahme-Lagern herauskommen. Sie fordert auch: Die Folgeunterkünfte müssen kindergerechter und deren Qualität vom Staat überwacht werden: "Wir empfehlen kleinere Einrichtungen. Nicht diese riesigen Beton-Gebäude, sondern kleinere in Nachbarschaften, wo die Kinder mehr Unterstützung haben. Kinder-Heime oder Pflegefamilien auf Zeit zum Beispiel. Jedenfalls nicht diese Massen-Unterkünfte", sagt Olivia M. Peña, Kinderanwältin bei "Young Center". Der neuen Regierung hält Olivia zugute, dass sie immerhin etwas ändern wolle. Es gehe nur alles viel zu langsam.
Diesen Trump-Fans geht alles zu schnell, die Veränderungen zu weit. Sie nennen sich "wahre Patrioten" und demonstrieren jede Woche in ihrer Heimatstadt McAllen. Dieses Mal vor einem neu errichteten Corona-Testzentrum für ankommende Migranten. "Es ist, als ob alle Tore geöffnet wurden. Wir sehen einen großen Zustrom an Menschen. Hallo? – Ich dachte, wir hätten dafür legale Wege!", sagt Teilnehmerin Chesley. "Ihr seid illegal", ruft einer den Familien zu, die an ihnen vorbei müssen. Sie wollen, dass Migranten wieder jenseits der Grenze Asyl beantragen und dort auf den Ausgang des Verfahrens warten.
Wir treffen noch einmal Alexis. Sie zeigt uns Trumps Mauer. Alexis möchte die Mauer abgeschafft sehen – vor allem aber möchte sie, dass Familien wieder offiziell mit ihren Kindern ins Land kommen und Asyl beantragen können. Denn sonst sähen viele Eltern keine andere Wahl, als ihre Kinder alleine los zu schicken: "Das würde die Zahl der Kinder in den Lagern drastisch senken. Und es würde eine ohnehin schon beschwerliche Reise weniger traumatisch machen." Von der neuen Regierung erwartet sie, dass schneller etwas passiert. Dass den Versprechen auch Taten folgen. Sie jedenfalls wird weiterkämpfen, für mehr Menschlichkeit an der Südgrenze der USA.
Autorin: Kerstin Klein, ARD Studio Washington
Stand: 21.03.2021 20:25 Uhr
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