So., 22.09.24 | 22:00 Uhr
Das Erste
Nach den Wahlen: Was wird aus Deutschland, Herr Gauck?
Drei Wochen nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen wird an diesem Sonntag auch in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. SPD und AfD liefern sich ein Kopf-an-Kopf Rennen. Die AfD könnte erneut stärkste Kraft werden. Dietmar Woidke hat bereits angekündigt, als Ministerpräsident zurücktreten zu wollen, sollte seine SPD hinter der AfD landen.
Wird seine Strategie aufgehen, kann die SPD die Mehrheit der Menschen in Brandenburg noch erreichen? Warum wählen so viele, gerade auch junge Menschen die in Teilen rechtsextreme AfD? Und welche Folgen wird das Wahlergebnis für die Ampel in Berlin haben?
Joachim Gauck
Von 2012 bis 2017 war Joachim Gauck Deutschlands elfter Bundespräsident. Vor der Wende arbeitete er als Pastor. Von seiner Kirche gingen 1989 die wöchentlichen Massendemonstrationen in Rostock aus. Gauck war Mitbegründer des Neuen Forums und kurzzeitig Volkskammerabgeordneter für Bündnis 90 im ersten frei gewählten Parlament der DDR. Nach der Wende leitete er zehn Jahre die Stasi-Unterlagen-Behörde. Gauck sagte immer, was er denkt – egal ob als Pastor in der DDR, Bundespräsident oder jetzt im Ruhestand. Bei einem Staatsbesuch in der Türkei kritisierte er Erdogan für dessen demokratische Defizite, in Deutschland forderte er mehr Eigenverantwortung, eine andere Außen- und Sicherheitspolitik und warnte bereits vor zehn Jahren vor Putins imperialistischen Ambitionen.
Als Bundespräsident gab er dem Amt seine Würde zurück, welches durch die Rücktritte seiner Vorgänger Wulff und Köhler Schaden genommen hatte. Am Abend der Landtagswahl in Brandenburg wird Gauck die Menschen an ihre Selbstverantwortung erinnern, die es braucht, um in einer freiheitlichen Demokratie zu leben – jenseits aller Parteienpolitik.
Julia Reuschenbach
Die Politikwissenschaftlerin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, wo sie schwerpunktmäßig zu Parteien, Wahlkämpfen und politischer Kommunikation lehrt und forscht. Zusammen mit dem Radiojournalisten Korbinian Frenzel hat sie kürzlich das Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen” veröffentlicht. Darin untersuchen sie, woran die deutsche Streitkultur krankt. Den etablierten Parteien rät Reuschenbach, positive Visionen ihrer Politik zu zeichnen und mehr auf Emotionen zu setzen – sonst gerieten sie in Gefahr, gegen populistische Parteien unterzugehen. Sie erwartet nicht, dass die Landtagswahl in Brandenburg große Auswirkungen auf den Bund hat.
Steffen Mau
Der Soziologe befasst sich in seiner Forschung intensiv mit Ostdeutschland. Seine These: Ost- und Westdeutschland bleiben anders, auch dauerhaft. Mau spricht von einem Fortbestand zweier Teilgesellschaften und begründet das unter anderem mit großen Unterschieden in Sozialstruktur, Demographie und politischer Kultur. Und genau hier würden populistische oder auch rechte und rechtsextreme Parteien ansetzen. In dem sie beispielsweise enttäuschten, gerade auch jungen Menschen eine Stimme gäben. So sei die AfD im Osten zum Teil einer Jugendprotestkultur geworden. Der Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin glaubt, dass sich das Parteiensystem in Deutschland dauerhaft verändern wird.