So., 15.12.24 | 21:45 Uhr
Das Erste
Was sind die Lehren aus dem Ampel-Aus?
Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag für seine Vertrauensfrage im Bundestag aller Voraussicht nach keine Mehrheit bekommen wird, ist die zerstrittene Ampel-Koalition Geschichte und der Weg für die vorgezogenen Neuwahlen im Februar frei. Das zerbrochene Regierungsbündnis mit erstmals drei Koalitionspartnern im Bund hat bei vielen Menschen Zweifel wachsen lassen, ob Politik noch in der Lage ist, Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Welche Lehren lassen sich aus dem Scheitern der Ampel-Koalition ziehen? Welche Fehler sollte die nächste Regierung unbedingt vermeiden? Und wie gewinnt Politik Vertrauen zurück?
Peer Steinbrück
Der ehemalige Kanzlerkandidat der SPD war Bundesfinanzminister (2005-2009) und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (2002-2005). Die von ihm mitgegründete „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ soll den Sozialstaat, die Demokratie sowie den Wirtschaftsstandort Deutschland sichern. Die Ursachen für den derzeitigen Zustand des Landes seien laut Steinbrück nicht ausschließlich auf die Regierungszeit der Ampel-Koalition zurückzuführen. Seiner Meinung nach wäre eine Große Koalition aus Union und SPD momentan die „beste Variante“ für eine neue Regierung. Steinbrück plädiert grundsätzlich dafür, dass Politik mutiger sein müsse: Aus Angst, die Wählerinnen und Wähler zu verschrecken, Ihnen Zumutungen aufzuerlegen, werde versäumt, elementare Realitäten anzusprechen.
Ricarda Lang
Seit ihrem Rücktritt als Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen blickt Ricarda Lang mit Abstand und Selbstreflexion auf die Mechanismen und Herausforderungen der Spitzenpolitik. „Ich habe am eigenen Leib erfahren, was der politische Betrieb mit Menschen macht. Ich finde, er macht uns zu schlechteren Politikerinnen, als wir eigentlich sind oder sein könnten.” Als Parteivorsitzende habe sie sich oft zu sehr auf ihr Auftreten konzentriert: „Vielleicht habe ich mich dabei etwas verloren”. Lang betont, dass es nicht nur darum gehe, politische Entscheidungen besser zu erklären, sondern Politik tatsächlich besser zu gestalten. Sie fordert eine Veränderung der politischen Kultur und einen stärkeren Fokus auf Authentizität. Lang spricht auch die Notwendigkeit einer starken politischen Führung in schwierigen Koalitionen an.
Robin Alexander
Der stellvertretende Chefredakteur der WELT analysiert und berichtet seit 2010 über das Kanzleramt und das politische Geschehen in Berlin. Er ist der Ansicht, die zentralen Themen unserer Zeit seien vor der Bildung von Koalitionen zu entscheiden, um sie anschließend konsequent anzugehen. Je mehr Zulauf AfD und BSW bekommen, desto deutlicher müsse laut Alexander die Migrationsfrage aus der Mitte der demokratischen Parteien heraus beantwortet werden. Zudem betont er die Wichtigkeit eines Wirtschaftsaufschwungs, durch den Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und Populisten klein gehalten werden könnten. Alexander benennt als Hauptursache für das aktuell geringe Vertrauen in die Politik nicht nur die Ampel-Parteien, sondern auch schwerwiegende Versäumnisse der Großen Koalition seit 2017.