Mo., 30.03.20 | 00:00 Uhr
Das Erste
Denis Scheck empfiehlt: "Der Leopard"
Geraten ganze Reiche ins Rutschen, ist das Individuum gut beraten, in Deckung zu gehen. Dumm nur, wenn man so privilegiert lebt, dass Wegducken keine Alternative ist. So ergeht es der Hauptfigur in Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman "Der Leopard", der gerade in einer bestechenden Neuübersetzung von Burkhard Kroeber erschienen ist. Wir begegnen Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, beim Gebet des Rosenkranzes im Salon seiner Villa einige Meilen außerhalb Palermos. Später wird er einen Spaziergang durch den Park unternehmen und dann in aller Ruhe die Pferde anspannen lassen, um noch einen Ausflug nach Palermo zu machen – mit keinem anderen Ziel, wie seine Frau und sein Beichtvater sehr wohl wissen, als dort ein Bordell zu besuchen.
Don Fabrizio ist nicht nur ein Hüne von Gestalt und ein ebenso lebenslustiger wie genussfreudiger Gesell, sondern auch ein Mann von hellwacher Intelligenz und schlagenden analytischen Fähigkeiten. Ihm ist nur zu schmerzhaft klar, was die historische Stunde geschlagen hat. Er weiß, dass er als Angehöriger des alten Feudalsystems in der Klemme sitzt: Er wird zerrieben zwischen den Kräften der nationalen Einigung Italiens – Garibaldi ist mit seinen Truppen schon an Siziliens Küsten – und den ökonomisch versierteren Kleinadligen und Bürgern. Entweder, so Don Fabrizios Kalkül, er löst sich von seinen uralten Traditionen und umarmt den sozialen Wandel, um so den Einfluss seines Familienclans auch in der neuen Monarchie zu erhalten, oder er ist dazu verdammt, den endgültigen Verfall seiner Sippe einzuleiten. Es gibt Wissen, das traurig macht. Aus dieser Trauer erwächst die überwältigende Melancholie dieses Romans.
Ich bin kein Reaktionär, und es gibt Dinge, die größere Wehmut in mir auslösen als Abstiegsängste sizilianischer Fürsten. Weil Lampedusa seinen Helden Don Fabrizio aber mit all seinen Stärken und Schwächen als unvergesslich plastischen, wirklich gerundeten Charakter präsentiert, als ebenso liebevollen wie untreuen Ehemann, als Menschen, der die bestimmenden Strömungen seiner Zeit zu deuten, aber nicht zu lenken weiß, deshalb hat er mich nun schon ein halbes Leserleben lang begleitet und ist mir zu einem guten Freund geworden. Ja, man kann nämlich mit Romanfiguren befreundet sein, ich war es von Kindheit an. Also vertrauen Sie mir, ich weiß was ich tue, und lesen Sie Giuseppe Tomasi di Lampedusas "Der Leopard", in neuer Übersetzung von Burkhart Kroeber erschienen im Piper Verlag.
Stand: 29.03.2020 22:00 Uhr
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