So., 26.01.20 | 23:35 Uhr
Das Erste
Denis Scheck empfiehlt: "Hölderlins Geister"
Friedrich Hölderlin ist Deutschlands größter Dichter. Was ihn dazu macht, das untersucht Karl-Heinz Ott in seinem brillanten Essayband "Hölderlins Geister“. Friedrich Hölderlins Programm: nichts weniger als die antiken Götter zurück auf eine verwaiste Erde zu singen, die das Christentum in ein Jammertal verwandelt hat. Hölderlins Überzeugung: "Die Poesie… wird am Ende wieder, was sie am Anfang war – Lehrerin der Menschheit; denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben.“
Hölderlin führt den Fachidioten und den Mensch zusammen
Hölderlin will in seiner Dichtung die verloren gegangene Einheit wiederherstellen, das Band zwischen Menschen und Göttern neu knüpfen. Hölderlins Klage in seinem einzigen Roman "Hyperion“ über die Arbeitsteilung und das Fachidiotentum in den Köpfen ist die Klage aller Jungen bis heute: "Handwerker siehst du, aber keine Menschen. Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt umeinander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?“
Hölderlin musste für vieles herhalten
Mit großem Einsichtsreichtum, wortgewaltig und mit schlagendem Witz wandelt Karl-Heinz Ott auf Hölderlins Spuren. Ott interessiert sich in "Hölderlins Geister“ für das Nachleben Hölderlins seit seiner Wiederentdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts. Man hat aus Friedrich Hölderlin so ziemlich alles gemacht, was man mit einem Dichter machen kann. Die Nazis haben ihn als Barden des Tods fürs Vaterland instrumentalisiert. Die 68er feierten den Revolutionär Friedrich Hölderlin. Die DDR reklamierte den Systemumstürzler für sich, die Dissidenten den unangepaßten Freigeist, der sich allen Zwängen entzog.
Ott hält Hölderlin lebendig
Ott hält Hölderlin lebendig, in dem er zum Beispiel über den Gebrauch des Wortes "aber“ in Hölderlins Dichtung nachdenkt. "Immer wieder das Wörtchen Aber. Jedes Mal horcht man auf, wie Kinder. Jedes Aber lässt an die Bibel denken …“, so Ott. Sicher gilt aber mit Friedrich Hölderlin bis heute: "Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Also vertrauen Sie mir, ich weiß, was ich tue, und lesen Sie Karl-Heinz Otts "Hölderlins Geister", erschienen im Hanser Verlag.
Stand: 27.01.2020 12:25 Uhr
Kommentare