So., 30.03.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
In Belarus verboten, in Leipzig ausgezeichnet: Alhierd Bacharevič
2025 geht der Buchpreis zur Europäischen Verständigung an eine Dystopie
Der Roman kommt gleich zu Beginn zur Sache. Die Minsker Polizei rätselt über Verse in einer unbekannten Sprache, eingeritzt in die Haut eines toten Mannes. Die Sprache, in der sie geschrieben sind, erkennt der zum Verhör gebetene misanthropische Romanheld sofort. Er hat sie selbst erfunden: Balbuta – seine eigene, vollkommene Sprache der Freiheit.
Alhierd Bacharevič erfindet eine Sprache der Freiheit

Der belarussische Autor Alhierd Bacharevič, der zur Eröffnung der Buchmesse 2025 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet wurde, erklärt sie so: "Zum Beispiel Bu Samoje, Bu Samoje, das sind die wichtigsten Worte auf Balbuta. 'Bu Samoje' bedeutet: 'Sei frei!'"
Der Held im ersten Teil dieses großartigen, wilden, düster und märchenhaft durch Zeit und Raum galoppierenden Romans hat diese Sprache nur für sich allein erfunden, als Schutz vor der Vereinnahmung durch einen krakenhaften Staat, wie der Autor weiter ausführt:
"Balbuta ist in Wirklichkeit eine große sprachliche Utopie. Balbuta ist ein Versuch, eine ideale Sprache aufzubauen. Aber es gibt nichts Ideales in dieser Welt. Jede Utopie braucht Opfer, sie braucht uns Menschen als Opfer."
Roman erst hoch gelobt in Belarus, 2020 verboten

Alhierd Bacharevič lebt seit fünf Jahren im Exil – wir treffen ihn im Literarischen Colloquium in Berlin. Als "Europas Hunde" 2017 in Belarus erschien, wurde es als Buch des Jahres gefeiert.
Doch die kleinen Freiheitsnischen schloss das Lukaschenko-Regime nach 2020 radikal. Der Roman wurde verboten, der Verleger ins Gefängnis geworfen. "Europas Hunde" galt fortan als extremistisch: "Die Wörter können in Belarus auch extremistisch sein. Zum Beispiel dieser Slogan 'Schiwje Belarus' – 'Viva Belarus!'"
"Es lebe Belarus!"– war der Freiheitsruf Hunderttausender, die im August 2020 gegen den Diktator Lukaschenko rebellierten. Er erklärte sich damals mit 80 Prozent der Stimmen zum Sieger der Präsidentschaftswahl und setzte den Betrug mit brutaler Gewalt durch. Es folgten Repressionen und die Verfolgung aller, die eine belarussische Identität und Unabhängigkeit verlangten.
Sprache als Schlachtfeld

"Also man kann alles verbieten, kontrollieren, extremistisch einstufen, ja, aber es gibt immer eine kleine Zelle in unserem Kopf. Unsere Freiheit ist in unserem Bewusstsein und die Sprache ist das Manifest unserer Freiheit", kommentiert Alhierd Bacharevič.
Im Roman will ein Lehrer eine Zeitkapsel installieren, Nachrichten seiner Schüler an die Gesellschaft der Zukunft. Die Zeitkapsel ist ein Gurkenglas, in das die Schüler ihre Zettel stopfen. Ohne den Inhalt zu lesen, versenkt der Lehrer das Glas in einem Erdloch. Danach kommt der Schulleiter zu ihm und sagt: "Oleg Olegowitsch, wie konnten Sie das machen, ohne meine Erlaubnis, ohne Zensur, ohne Überprüfung." Der Lehrer muss das Glas wieder ausgraben.
In "Europas Hunde" ist Sprache das entscheidende Schlachtfeld zwischen Macht und Freiheit – sie wird kontrolliert, verfälscht, ausgelöscht und zugleich als wichtigster Ort des Widerstands verteidigt. Wasihn antreibt, beschreibt Alhierd Bacharevič so: "Meine Sprache ist bedroht, meine Sprache wird bedroht. Meine Kultur ist bedroht. Die Unabhängigkeit ist bedroht.
Hoffnung auf ein demokratisches Land

Der Autor gibt seine Hoffnung nicht auf: " Ich träume von einem Belarus, dass wirklich ein europäisches Land ist, ein freies Land, ein demokratisches Land", sagt Alhierd Bacharevič.
In Belarus gibt es mittlerweile tatsächlich eine sich immer mehr verbreitende Begrüßung – auf Balbuta: "Bu Samoje – Sei frei!"
Autor TV-Beitrag: Dennis Wagner
Stand: 30.03.2025 22:20 Uhr
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