So., 29.09.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Spielfilm und TV-Doku: "Ein Mann seiner Klasse"
Wie Herkunft und Bildungsweg die Lebenschancen bestimmen
Wer könnte man sein, wenn man nicht der wäre, der man ist?
Ottes ist Arbeiter, Fan des 1. FC Kaiserlautern und Vater
Ottes ist Fan des 1. FC Kaiserlautern, Vater von Christian, ein Mann der Arbeiterklasse. Sein Thron ist der Kneipentisch und die Kneipe das Paradies, das er sich leisten kann. Ottes ist Möbelpacker in Kaiserslautern.
Ein Mann der gut sein will, es aber oft nicht kann – im teuflischen Dreieck von Armut, Alkohol und Gewalt. Leonard Kunz spielt diesen Ottes:
"Schon als ich das Drehbuch gelesen habe, wollte ich unbedingt Teil des Films sein", verrät der Schauspieler. "Ich wollte immer in Filmen spielen, die etwas bewegen, die unsere Probleme aufzeigen."
"Der Junge kommt auf die Hauptschule"
Das Sein bestimmt das Bewusstsein und die Lebenschancen. Zur Ausnahme von dieser Regel wird eine Empfehlung für den künftigen Bildungsweg von Sohn Christian. Er könnte aufs Gymnasium! Könnte. Für den Direktor seiner Grundschule und auch den Vater steht allerdings fest: "Der Junge kommt auf die Hauptschule."
Für Regisseur Marc Brummund ist das der eigentliche Konflikt des Films, "dass die Familie ein stückweit mit der Gymnasialempfehlung von Christian überfordert ist:
"'Wie unser Junge soll jetzt aufs Gymnasium?' Seit jeher ist es Tradition, dass die Männer der Familie bei Schulz & Kuhnert arbeiten, also bei dem Umzugsunternehmen. Und dafür reicht die Hauptschule. So hat es der Vater gemacht und der Opa auch."
Autobiografischer Roman von Christian Baron als Filmvorlage
Der Film "Ein Mann seiner Klasse" entstand nach dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Christian Baron. Er erzählt seine Geschichte und die seiner Eltern – die nun auch für die ARD verfilmt wurde. "Wir sind alle Menschen, die unser Päckchen zu tragen haben. Und die Päckchen mancher Leute sind eben ein bisschen schwerer, die können sie nicht allein tragen", das will er mit seiner Geschichte ganz konkret zeigen.
"Herkunft entscheidet", oder?
Als Christians Mutter mit 32 Jahren an Krebs stirbt, übernimmt ihre Schwester die Fürsorge für die drei Kinder. Und Tante Juli kümmert sich um Christians Bildungsweg – gegen den Willen seines Vaters und die Vorurteile im Jugendamt.
Indem sie sich für ihren Neffen stark macht, verschafft sie ihm eine Chance, die er normalerweise nicht bekommen würde, sagt Autor Christian Baron: "Wir sind keine Ständegesellschaft mehr, in der so etwas gar nicht denkbar ist. Es ist schon erwünscht und erlaubt. Aber trotzdem sind wir nach wie vor eine kapitalistische Klassengesellschaft und das bedeutet: Herkunft entscheidet. Das war im Kapitalismus nie anders. Und ich habe es ja am eigenen Leib erfahren.", stellt er fest.
Christian will nicht ohne seinen Vater leben. Immer wieder sucht er seine Nähe und hofft auf seine Zuneigung. Auch der will durchaus nicht, dass sein Junge "im Kalkofen" landet. Denn da gäbe es nur Arbeitslose, Ausländer und Gesocks, sagt er. Regisseur Marc Brummund möchte die sogenannten Working Poor mit dem Film in den Fokus rücken, also "diejenigen, die hart arbeiten und trotzdem damit leben müssen, dass das Geld eigentlich nicht reicht, um würdevolles Leben zu führen".
Keine rührselige Bebilderung von Menschen in Armut
Nein, dieser Film ist keine rührselige Bebilderung von Menschen in Armut. Und dieser Ottes kein bloßes Abziehbild seiner Klasse. Er ist der Vater von Christian und dessen schwieriges Vorbild. In einer Kneipenszene des Films heißt es: "Die Leute denken immer, die versaufen ihr Geld, deshalb haben sie keines. Aber es ist genau andersrum. Das Geld reicht nicht mehr, deshalb fangen sie an zu saufen."
Für Christian Baron steckt in dem Satz eine tiefe Wahrheit: "Eigentlich ist es die Kneipenversion des Satzes: 'Unser Vater war ein Mann seiner Klasse.' Als ich den fertigen Film zum ersten Mal gesehen habe, hat mich am meisten die Szene beeindruckt, in der der Vater Christian von der Schule abholt. Der ist verkleidet, sieht nicht aus wie ein Junge. Allein der Blick des Vaters in dem Moment – da steckt so eine Liebe drin, die mich ganz tief berührt und auch in diese Situation zurückversetzt hat. Und in gewisser Weise hat mich diese Szene nachträglich noch einmal mehr versöhnt mit diesem Typen."
Im Film sagt Ottes zu seinem Sohn: "Hör zu, mir ist egal, ob du schwul oder irgendein Spast bist. Eines musst du mir versprechen, Du musst immer deinen Stolz bewahren."
Kein Spast, sondern Journalist und Buchautor ist Christian Baron geworden, nachdem er erfolgreich das Abitur gemacht hat.
Autor TV-Beitrag:
Lutz Pehnert
Stand: 30.09.2024 17:06 Uhr
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