So., 29.09.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Farce um das Einheitsdenkmal in Berlin
Eine ewige Baustelle als Sinnbild?
Wir schreiben das Jahr 35 nach der Friedlichen Revolution. Und eigentlich sollte heute in der deutschen Hauptstadt ein Denkmal stehen: Für die Freiheit und die Einheit.
Doch wie wir sehen, sehen wir nichts. Beziehungsweise nicht untypisch für Berlin: Eine Baustelle. Und das schon lange. Sehr lange.
Immer noch kein Denkmal für "das glücklichste Ereignis der deutschen Geschichte"
Worüber der ostdeutsche Bürgerrechtler Wolfgang Thierse ziemlich sauer ist: "Es ist tief bedauerlich und ärgert mich richtig, dass dieses Land nicht fähig und bereit ist, an das glücklichste Ereignis der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert mit einem Denkmal zu erinnern, im 35. Jahr nach der Friedlichen Revolution und nach der Ermöglichung der Wiedervereinigung. Das tut mir weh."
Seit 17 Jahren setzt sich der ehemalige Bundestagspräsident dafür ein, dass die Ostdeutschen und ihre Friedliche Revolution das Denkmal bekommen, das der Bundestag 2007 beschlossen hat. "Ein Denkmal des historischen Glücks und der Freudentränen" sollte es werden, ein "kraftvolles Zeichen des Aufbruchs".
2011 wurde der Siegerentwurf der Stuttgarter Kreativagentur Milla und Partner gekürt: "Bürger in Bewegung". In der Mitte einer riesigen begehbaren Waagschale sollen Menschen zusammenfinden, um sie gemeinsam in die eine oder andere Richtung zu bewegen.
Eine soziale Plastik, sagen die einen. Die anderen spotten über die "Einheitswippe" und schlimmer noch "Bundesbanane", "das schiefste Bild aller Zeiten".
Mitten in Berlin: Einen Ort der Freiheit und der Einheit widmen
Marianne Birthler, ehemalige Bürgerrechtlerin und Politikerin, findet die Idee des Denkmals jedoch "gar nicht schlecht": "Für mich war sie am Anfang ein bisschen fremd, aber ich kann den Sinn dahinter schon verstehen und dass eine Gesellschaft, wenn sie sich nicht bewegt, irgendwie auch gar nicht existent ist, also zumindest nicht als Zivilgesellschaft, das ist ja augenfällig." Auch seien eine Freiheitsrevolution und die deutsche Einheit als Anlass bedeutend genug, "um beidem einen Ort zu widmen, mitten in der Stadt".
Am 4. November 1989 zog hier in Ostberlin, wo heute Schloss und Denkmal-Sockel stehen, die größte Protest-Demonstration am Palast der Republik vorbei. Zum Alexanderplatz, wo eine sehr aufgeregte Marianne Birthler das Mikrofon ergriff und erklärte: "Wir alle sind hier, weil wir Hoffnung haben. Auf diesem Platz ist hunderttausendfache Hoffnung versammelt."
Auch der Autor Ingo Schulze war damals dabei, fühlt sich aber von diesem Denkmal-Entwurf nicht geehrt: "Für mich hat das nicht viel damit zu tun, was da im Herbst '89 passiert ist. Das war ja doch eine ganz große Selbstermächtigung. Und was danach gekommen ist, das spielt natürlich auch eine große Rolle: Dass es eben keine Vereinigung gegeben, sondern leider nur zu einem Beitritt gereicht hat."
Baustopp 2016 wegen einer seltenen Fledermaus-Art
Den historischen Moment im Jahr 1989, als sich Ost- und Westdeutsche tatsächlich einmal kurz in den Armen lagen, hat der Franzose Maurice Weiss als junger Student fotografiert. Darum wollte der heutige Ostkreuz-Fotograf auch den Bauprozess des Freiheits- und Einheitsdenkmals dokumentieren. Nicht ahnend, dass ihn dieses Projekt über 17 Jahre begleiten würde: "Ich habe mit mehr Jahren gerechnet, als prognostiziert waren. Aber dass das Ding immer noch nicht fertig ist, finde ich dann doch überraschend."
Nach jahrelangen Genehmigungsverfahren wurde der Bau 2016 gestoppt. Der Grund, ebenfalls nicht untypisch für deutsche Baustellen: eine seltene Fledermaus-Art, die den historischen Sockel bewohnte. Zweimal beschloss der Bundestag den Bau noch einmal neu. Es folgten: ungeklärte Grundstücksfragen, noch mehr Auflagen und der Bau des Humboldt-Forums hinter der neu errichteten kaiserlichen Schlossfassade. Die DDR hatte das Schloss einst samt Kaiser-Standbild weg gesprengt, um an gleicher Stelle später ihren Palast der Republik zu bauen.
Pro & Contra zum Denkmal-Ort
Schriftsteller Ingo Schulze findet den Ort deswegen unpassend: "Das an so einem Platz zu machen, wo man den Palast der Republik abreißt und dann so ein Fakeschloss aufbaut, wo kein Stein echt ist – das ist eigentlich ein Überspringen von deutscher Geschichte, also direkt aus dem Deutschen Kaiserreich in die große Bundesrepublik."
Hingegen sagt der ehemalige Bürgerrechtler und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: "Der Ort war einmal ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Ein Denkmal der Erinnerung an die Deutsche Vereinigung von oben. Und wir setzen einen Kontrapunkt und erinnern an die Deutsche Einigung von unten, der eine Freiheitsrevolution vorausgegangen ist. Das nennt man im Brechtschen Sinne 'Umfunktionieren eines historischen Ortes'. Das hat Witz."
35 Jahre nach der Wende: Frage nach Freiheit und Einheit stellt sich neu
Aktuell lagert die imposante Waagschale des Denkmals "Bürger in Bewegung" im westfälischen Stemwede in der Halle eines Stahlbauers tief im Westen – und in Berlin bewegt sich vorerst überhaupt nichts mehr.
Gerichts- und Insolvenzverfahren laufen, Wirtschaftsprüfer prüfen, Kosten steigen. Dem Haushaltsausschuss des Bundestages liegt ein Antrag über zusätzliche vier Millionen Euro für den Bau des Denkmals vor.
Fotograf Maurice Weiss meint, angesichts der vielen Bundesmittel, die schon flossen, müsse das Denkmal entstehen: "Wie lang das noch dauert, das frage ich mich schon eine Weile, ich würde gern einmal abschließen."
Doch inzwischen scheint dieses Denkmal, schon bevor es aufgestellt ist, schlecht gealtert. Das Land hat andere Sorgen.
Und der Ruf "Wir sind das Volk" klingt heute nicht mehr wie vor 35 Jahren, wie die Bürgerrechtlerin und Politikerin Marianne Birthler betont:
"Wer heute von Einheit spricht oder von Zusammenkommen, meint, glaube ich, inzwischen gar nicht mehr die Ost-West-Frage, sondern viel häufiger den Spalt, den es in der Gesellschaft gibt zwischen den Freiheitsfreunden und den Gegnern der Freiheit. Das ist ja das, was uns im Moment, denke ich, am meisten zu schaffen macht und auch schmerzt und manchmal auch ängstigt."
Was bleibt? Ein Denkmal, so unvollendet wie die Einheit? Verhindert durch Bürokratie und Fehlplanung? Kein Monument des Aufbruchs, sondern der Gleichgültigkeit? Bis auf weiteres: ja.
Autorin TV-Beitrag:
Marion Ammicht
Stand: 30.09.2024 16:59 Uhr
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