So., 22.09.24 | 23:30 Uhr
Das Erste
Ringen um die Antisemitismus-Resolution
Das Netzwerk jüdischer Hochschullehrender fordert in einem offenen Brief den Bundestag auf, endlich eine Resolution zu verabschieden, über die die Ampelfraktionen und die von CDU/CSU seit Monaten brüten. Darin steht unter anderem, dass Fördergelder in Kunst und Wissenschaft nur noch nach vorheriger Prüfung auf antisemitische Narrative freigegeben werden sollen. Gegen eine solche Resolution protestieren wiederum Hunderte WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und JuristInnen, aber auch viele Kulturinstitutionen. "ttt" fragt, wie eine Bundestagsresolution aussehen sollte, die jüdisches Leben schützt und gleichzeitig Gesinnungsprüfungen vermeidet.
Debatte um die Antisemitismus-Resolution
Montag diese Woche, Technische Universität Berlin: Zwei Tage Sommerakademie des Forschungsnetzwerks Antisemitismus. Vorm Eingang eine propalästinensische Demo gegen einen der Redner: Volker Beck – ehemals Bundestagsabgeordneter der Grünen. Beck setzt sich für Israel ein und wird als Rassist beschimpft. "Ich habe gegen niemanden was, der demonstriert. Die Leute dürfen für Unsinn auf die Straße gehen. Die Grenze ist da, wo Jüdinnen und Juden generell angegriffen werden oder auch Israelis, die in Deutschland sind, das Recht auf Freiheit und Leben abgesprochen wird", erklärt Volker Beck, Präsident Deutsch-Israelische Gesellschaft. Beck konnte drinnen seinen Vortrag halten. Kurz danach gibt er Interviews. Auch eine pro-israelische Gegen-Demo hat sich formiert. Dazwischen 60 Polizisten. Beck ist einer der vehementen Befürworter einer geplanten Bundestagsresolution, die sich für den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland einsetzt.
Resolutionsentwurf sorgt für Kontroversen
Seit 10 Monaten brüten die Fraktionen von Ampel und CDU/CSU über diesem Resolutionsentwurf "zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland". Er wird behandelt wie ein Staatsgeheimnis, aber er wurde dennoch durchgestochen. Seitdem kursiert das Papier im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb und sorgt dort für Kontroversen. "ttt" liegt der Entwurf vor. Im Verlaufe des 3-seitigen Papiers werden die Verfasser sehr konkret, wie sie sich den Schutz jüdischen Lebens vorstellen. Zitate aus der Schrift: "Bei Fördermittelanträgen (…) sind die Förderprojekte auf eine Unterstützung oder Reproduktion von antisemitischen Narrativen zu überprüfen." Und: "Rechtssichere, insbesondere haushalterische Regelungen (...) sollen sicherstellen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Inhalten gefördert werden." Solche Sätze zielen auf Wissenschaft und Kunst – denn sie können ohne Staatsgelder nicht existieren. Der Violinist Michael Barenboim ist entsetzt über diese Forderungen, er hat einen offenen Brief von 100 in Deutschland lebenden jüdischen KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AutorInnen unterschrieben. "Wer soll das überprüfen, erstens. In welchem Umfang wird das überprüft und dann, mit welcher Methode wird das überprüft. Wenn das so durchgeht, muss irgendwer dasitzen und sich alle möglichen Anträge auf Förderung angucken und überprüfen und auf Google und Instagram und Facebook die Künstler ausspionieren", so Musiker Michael Barenboim.
ParlamentarierInnen wollen Fakten schaffen
Mit ihrem Resolutionsentwurf wollen die ParlamentarierInnen endlich über folgenlose Gedenkreden hinaus Fakten schaffen: Antisemitismus an Universitäten und in Kunsthallen sollen mit Gesetzeskraft verhindert werden. Szenen wie auf der Documenta 2022, wo antisemitische Ikonografie gezeigt wurde, sollen sich nicht wiederholen können. Julia Bernstein forscht in Frankfurt am Main zu Diskriminierung. Sie hat einen offenen Brief des Netzwerks Jüdischer Hochschullehrender unterschrieben, der die geplante Resolution ausdrücklich begrüßt. "Ich halte diesen Entwurf auf jeden Fall für richtig und auch für ein wichtiges Zeichen für die jüdische Bevölkerung, die durchaus vielfältig ist, die sich in den Fragen des Antisemitismus oft nicht geschützt fühlt", so die Soziologin.
Offener Brief von JuristInnen warnt vor Gesinnungsprüfungen
Die Wirklichkeit aber ist komplexer als dieser Resolutionstext – das jedenfalls behauptet Matthias Goldmann, Prof. für Völkerrecht. Er warnt in einem offenen Brief zusammen mit 20 namhaften Juristen davor, Gelder für Wissenschaft und Kunst an eine Gesinnungsprüfung zu knüpfen. "Wir finden es gut, dass eine solche Resolution zum Schutz jüdischen Lebens kommen soll. Und wir haben Bedenken, ob diese Passagen mit der Verfassung in Einklang stehen. Wenn das so verabschiedet wird, wie das im Entwurf vorliegt, besteht definitiv eine Gefahr für die Kunstfreiheit, die freie Rede und für die Wissenschaftsfreiheit. Es besteht die Gefahr, dass dann die Mittelvergabe an Kriterien geknüpft wird und an Verfahren geknüpft wird, die sich hinterher als unhaltbar herausstellen", erklärt Goldmann. "Der demokratische Verfassungsstaat fordert keine Werteloyalität von seinen Bürgerinnen und Bürgern. Was der Staat aber machen kann – weil man hat keinen Anspruch auf finanzielle Förderung – er kann jedes Förderprogramm damit verbinden, dass diese Inhalte einfach draußen sind. Und dann prüft man vorher, ist das im Antrag drin und später beim Zuwendungsnachweis: Hat es da bei der Zuwendung ein Problem gegeben", so Volker Beck.
Probleme der Debatte
Die Debatte um diese Resolution offenbart zwei Probleme: Zum einen die Frage, ob man mit speziellen Antisemitismus-Paragraphen bei der finanziellen Förderung von Wissenschaft und Kultur wirklich etwas erreichen kann. Daran gibt es Zweifel – das zeigen die besorgten Stimmen aus dem Wissenschafts- und Kulturbereich. Ein anderes Problem ist die Frage, was man gegen das Gefühl vieler Jüdinnen und Juden tun kann, die sich sogar in Universitäten und Kunsthallen nicht mehr willkommen und sicher fühlen. "Man hat geglaubt, nach der Shoa hineingeboren zu sein. Und dass die Verfolgung physischer Art in dem Ausmaß zu einer Vergangenheit gehört. Und plötzlich erkennt man sich wieder in einer Situation, in der die Weisheiten der Omas und Opas, der Shoa-Überlebenden, zu Lebensanweisungen werden", erzählt Julia Bernstein. "Als Mitglied einer Universität bedrückt mich das enorm, dass Jüdinnen und Juden sich nicht sicher fühlen und natürlich muss man etwas dagegen tun. Das ist aber etwas anderes als die Präventivkontrolle von Projekten, die vielleicht die Chance hätten, Leute in Dialog zu bringen, die derzeit sich eigentlich eher auf Demonstrationen anschreien", so Matthias Goldmann.
(Autor: Ulf Kalkreuth)
Stand: 22.09.2024 18:50 Uhr
Kommentare