So., 06.10.24 | 23:20 Uhr
Das Erste
Einladung zum Staunen – Die Ausstellung "Schwerelos" von Leandro Erlich in Wolfsburg
Er ist der Meister der Illusion: der argentinische Künstler Leandro Erlich. In seinen Ausstellungen gibt es schwebende Gebäude, unendliche Treppen oder Wolken, die in Vitrinen gefangen sind. Kunstvoll spielt Erlich mit unserer Wahrnehmung, die Realität wird bei ihm auf den Kopf gestellt. Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt jetzt die erste monografische Ausstellung in Deutschland. "Weightless" (Schwerelos) lautet der Titel. Und doch ist sie ein echter Kraftakt. Sechs Lastzüge Material werden hier noch bis zur allerletzten Minute verbaut. "Meine Ausstellung ist ja nicht nur technisch, sondern auch konzeptionell anspruchsvoll", verrät der Künstler. "Sie vereint universelle Fragen aus der Soziologie, der Politik und der Ökologie und verbindet das alles noch mit dem Großen Unbekannten." Nichts weniger als Alles, das macht der studierte Philosoph zum Thema. So erschafft Leandro Erlich hier einen Kosmos aus hängendem Haus, begehbarem Mond und einer Rakete, die nicht wirklich abheben wird - jedoch aber in der Illusion.
Leandro Erlich stellt gewohnte Prinzipien auf den Kopf
"Wenn wir wollen, dass sich Menschen einbringen und mitmachen, dann können wir nicht einfach sagen: Das ist ein interaktives Kunstwerk, setz dich auf die Bank, schau nach oben und lies den Text. Nein, es geht um Verführung. Man muss den Zuschauer dazu verführen, dass er selbst von etwas Teil werden will." Erlich ist bekannt dafür, Leute ins Staunen und in Bewegung zu versetzen, sie etwa durch Spiegeltricks zu Mitgestaltern seiner Kunst zu machen und die gewohnte Realität zu hinterfragen."Ich will Menschen zu einer Reise in ihr Innerstes einladen. Auch wenn wir uns hier eigentlich im Weltall bewegen."
Sein 'schwebendes Haus' setzt alle bekannten Prinzipien außer Kraft. Nichts scheint hier zu gelten. Nicht, weil Leandro Erlich die Realität leugnet, wie so viele. Sondern weil er drängende Fragen hat: Wie lange finden wir alle noch Heimat auf diesem Planeten? Wo? Wie? "Dieses Haus ist ein Sinnbild für Geborgenheit und Heimat", erklärt Erlich. "Egal, wohin uns der technologische Fortschritt noch führen mag, der Faktor Mensch wird immer bleiben.
Seine Kunst eröffnet neue Perspektiven
Im Mittelpunkt von Erlichs Kosmos stehen wir Menschen - unsere Bedürfnisse und Beschränkungen. 'The sky is the limit' hieß es einst. Doch wirklich groß denken können nur wenige. So wird Erlich zum Türöffner. Er will uns ins Unbekannte locken. In einen Mond werden später Sterne projiziert und nachts erleuchtete Städte. Also auch die Welt, die wir geschaffen haben. "Und wenn uns diese Welt nicht gefällt, dann wissen wir doch eigentlich, dass wir sie verändern und verbessern können. Aber nur wenn wir die Dinge nicht so wahrnehmen, als wären sie starr, unumstößlich und größer als wir selbst."
Antworten liefert Kunst bekanntlich nie. Aber Erlich eröffnet einen Perspektivwechsel. Sein Raumschiff rast nämlich in Wolfsburg auf unsere Erde zu, die hier an die Decke projiziert ist. Und lässt uns um die Ecke gucken: Menschen neben, über und unter uns sehen. Als Freunde, nicht als Feinde. "Mir widerstrebt dieser allgegenwärtige Trend, Menschen auszugrenzen, bestimmte Glaubensrichtungen oder Kulturen auszuschließen. Das ist nicht nur unmoralisch, sondern wir entfernen uns damit auch von möglichen Lösungen." Mit kolossaler Kunst Zivilisations-Ballast abwerfen, geht das? - Ja, vielleicht lässt sich eine Welt, die Kopf steht, nur retten, indem man sie nochmals auf den Kopf stellt.
(Beitrag: Sylvie Kürsten)
Stand: 06.10.2024 23:55 Uhr
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