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Der Traum vom Frieden - Debatte um Kriegstüchtigkeit

Der Traum vom Frieden - Debatte um Kriegstüchtigkeit | Video verfügbar bis 13.04.2026 | Bild: NDR
Ein Buchcover in Tarnfarben mit der Aufschrift "Ole Nymoen. Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde".
"Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde" von Ole Nymoen ist im Rowohlt Verlag erschienen. | Bild: NDR

Stell' Dir vor es ist Krieg, und niemand geht hin: Für den Autor, Journalisten und Podcaster Ole Nymoen sollte es am besten genauso sein. Er zumindest würde, statt zur Waffe zu greifen und Deutschland zu verteidigen, eher fliehen, wie er in seinem Buch "Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde" erklärt. Laut einer Forsa-Umfrage von Anfang März sind nur 17 Prozent der deutschen Bevölkerung "auf jeden Fall" bereit, Deutschland im Falle eines militärischen Angriffs mit Waffengewalt zu verteidigen. Die Mehrheit von 60 Prozent will das "auf keinen Fall" oder "wahrscheinlich nicht". Dabei ist die Mehrheit für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Nur wer soll dann im Notfall kämpfen, wer Deutschland verteidigen? "ttt" spricht darüber mit Ole Nymoen, der Politikwissenschaftlerin Claudia Major und dem Veteranen und Buchautoren Wolf Gregis.

Leben oder schießen - ist das hier die Frage?

Ein junger, Weißer Mann mit dunklen Haaren und Brille sitzt vor einem Bücherregal. Es ist der Autor und Journalist Ole Nymoen.
Ole Nymoen: "Ich würde im Ernstfall fliehen oder mich verstecken." | Bild: NDR

Deutschland muss kriegstüchtig werden. Diese Forderung hallt durch das Land, doch der Bundeswehr fehlen Soldaten. Angesichts der zunehmenden Bedrohungslage - wer meldet sich freiwillig? "Ich würde im Ernstfall versuchen zu fliehen", sagt der Journalist Ole Nymoen, "und wenn der Staat mich das nicht lässt, würde ich mich verstecken. Ich habe keine Lust, auf Menschen zu schießen, die ich nicht kenne, die mir nichts getan haben, von denen mich nichts trennt - bis auf den Pass eben." Ole Nymoen hat ein umstrittenes Buch geschrieben: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“. Dabei ist ihm klar, sagt er, dass er selbst davon profitiere, in Deutschland freier sprechen zu können als in vielen anderen Ländern dieser Welt. "Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass, wenn ich vor der Frage stünde, ob ich lieber weniger frei leben und dafür am Leben bleiben oder sterben würde, für mich wäre die Option relativ klar."

Die Freiheit ist wichtiger als der Wohlstand

Eine mittelalte, Weiße Frau in lachsfarbenem Jackett sitzt in einem Büro. Es ist Politikwissenschaftlerin Claudia Major.
Claudia Major: "Demokratie ist keine Service-Einrichtung." | Bild: NDR

Die Politikwissenschaftlerin Claudia Major hat einen weniger subjektiven Blick auf das Thema: "Demokratie ist keine Service-Einrichtung, sondern etwas, zu dem Bürger aktiv beitragen können - auch zum Schutz dieses Gemeinwesens." Sie fordert eine "mentale Zeitenwende", wie viele andere. Die Gesellschaft müsse begreifen, dass Freiheit und Demokratie auf dem Spiel stehen. "Interessant ist ja", so Major, "dass die Länder, die Unfreiheit erfahren haben - die baltischen Staaten und Polen zum Beispiel - wollen diese Freiheiten so stark verteidigen, dass sie bereit sind, harte Einschnitte auch im Wohlstand ihres Sozialstaats in Kauf zu nehmen - weil für sie die Freiheit fundamental so viel wichtiger ist." Das weiß Wolf Gregis aus eigener Erfahrung. "Es geht um ein selbstbestimmtes Leben", sagt Gregis, der selbst gedient hat. "Das ist, was wir mit Recht und mit Freiheit zu verteidigen meinen: die Freiheit dieses Landes, die Freiheit der Menschen selbst zu bestimmen, wie sie leben wollen. Darauf basiert auch Artikel 1 unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und wenn es etwas zu verteidigen gibt, dann wohl Artikel 1."

Stell' Dir vor, es ist Krieg - und niemand geht hin

Ein mittelalter, Weißer Mann mit dunklem Bart und Glatze, in einem dunklen Jackett, sitzt auf einem Stuhl und gestikuliert mit geballter Faust.
Wolf Gregis hat mit 19 entschieden, Soldat zu werden, und für zehn Jahre als Zeitsoldat gedient.  | Bild: NDR

Wolf Gregis hat mit 19 entschieden, Soldat zu werden, Zeitsoldat für zehn Jahre. Als Offizier war er in Afghanistan. 60 deutsche Soldaten verloren in Folge des dortigen Einsatzes ihr Leben. Angst habe auch ein Soldat, weiß Gregis, "Angst wie alle anderen", sagt er. "Aber er handelt trotzdem. Und das ist der entscheidende Unterschied. Den Kopf in den Sand zu stecken oder wegzulaufen, wird das Problem nicht lösen. Denn - und das ist auch eine alte Weisheit - man hat immer eine Armee im Land: entweder die eigene oder eine fremde." Angesichts dieser Logik formuliert Ole Nymoen in seinem Buch einen provokanten Gedanken: Was wäre, wenn der Staat, statt Krieg zu führen, schnell kapituliert?

"Besser kapitulieren", sagt Nymoen

Ein Spielplatz, auf dem Müll und Schrott liegen, im Hintergrund ausgebombte Häuser. Es ist eine Szene in der Ukraine.
Was ist es wert, geopfert zu werden, um im selben Staat zu leben wie bisher? | Bild: NDR

"Dem einzelnen Bürger kann natürlich die Kapitulation des Staates das Leben retten", erläutert der Autor, "und nicht nur für einzelne, sondern für ziemlich viele. Dann stellt sich die Frage: Ist es besser, unter demselben Staat zu leben wie vorher, wenn auf dem Weg dahin das ganze Land in Schutt und Asche gebombt wird, es gibt keinerlei Ökonomie mehr und im Ernstfall muss man vielleicht selbst sein Leben an der Front lassen? Oder ist es nicht doch besser, eine Fremdherrschaft zu akzeptieren?"

"Der Aggressor hätte freie Bahn", sagt Major

Ein Militärhubschrauber hebt von einem Feld ab, Soldaten heben zwei Finger zum Gruß.
Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage würden nur 17% Deutschland im Ernstfall verteidigen.  | Bild: NDR

Claudia Major spielt dieses Beispiel theoretisch für Russland und die Ukraine durch: "Wenn man sich als Staat nicht verteidigen sollte, weil der Rückgriff auf das Militärische nicht vertretbar wäre, lässt man de facto dem Aggressor freie Bahn und gibt die eigene Bevölkerung der Unterdrückung preis. Das hieße also zu akzeptieren, dass der Bevölkerung ein Schicksal wie in Butscha, Irpin, Isjum oder Mariupol droht." Die Regierung der Ukraine aber hat entschieden, ihr Land gegen den Angriff Russlands zu verteidigen. Die Bevölkerung trägt das in großen Teilen mit. Auch wenn es nach mehr als drei Jahren Krieg immer schwerer wird, Soldaten zu rekrutieren.

Wen retten - das Individuum oder die Gesellschaft?

Ein Soldat liegt im Gebüsch und hält ein Gewehr im Anschlag.
Die Freiheit der Gesellschaft oder das Leben des Individuums, ist die dringlichste Frage unserer Zeit. | Bild: NDR

Ole Nymoen hält die Entscheidung pro oder contra der Kriegsführung für eine Farce: "Es wird immer so getan, als würde ein Staat sich verteidigen, um die eigene Zivilbevölkerung zu schützen. Aber das stimmt nicht. Der Staat macht niemals eine Kalkulation auf und rechnet aus: Könnte ich mehr Menschenleben schützen, indem ich zum Beispiel die Souveränität abtrete? Der Staat macht eine andere Rechnung auf, nämlich: Ist der Krieg militärisch zu gewinnen? Wenn nein, wird kapituliert. Wenn ja, wird weitergekämpft." Major räumt ein, dass niemand kämpfen und niemand im Krieg sterben möge. Aber: "Die Idee von Streitkräften ist es, die Lebensversicherung von Gesellschaften zu sein, zu gewährleisten, dass sie so leben können, wie sie sind." Welchen Wert hat die Freiheit - und welchen das eigene Leben? Diese Frage stellt sich immer dringlicher.

Ole Nymoen: "Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde"
Rowohlt Verlag
Preis: 16 Euro

(Beitrag:  Stefan Mühlenhoff)

Stand: 14.04.2025 10:56 Uhr

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