So., 13.04.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Zwischen Druck und Wut - Junge Kulturschaffende in der Türkei

Er nennt sich "Don Arte" und hat einen Song zu den Protesten in der Türkei geschrieben, dazu ein Musikvideo mit Bildern von Demos und Polizeigewalt der letzten Wochen gemacht. Sehr mutig, denn Protest gegen den türkischen Präsidenten Erdoğan kann schnell heftige Konsequenzen haben. Wie beim Schauspieler Cem Yiğit Üzümoğlu, der kurzzeitig festgenommen wurde, nachdem er die Verhaftung des Bürgermeisters von Istanbul kritisiert hatte. "ttt" trifft in Istanbul junge Menschen, die ihre Zukunft zurückerobern wollen.
Junge Menschen riskieren Karriere und Freiheit

Seit der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu gibt es mehr und mehr Massenproteste in der Türkei. Es ist die Wut einer ganzen Generation. Sie protestieren nicht nur für die Freilassung ihres Bürgermeisters, sondern gegen eine zunehmende Autokratie und eine Wirtschaftskrise, die das ganze Land erfasst hat. Es sind Szenen, die die türkische Regierung nicht gerne sieht, denn die Protestierenden fordern auch den Rücktritt Erdoğan. Viele hier sagen: Die Zukunft ihres Landes stehe auf dem Spiel.
Don Arte: "Gib uns unser Land zurück"

Die Antwort des Systems lautet: Mittels Zensur und Repressionen den politischen Druck auf Andersdenkende erhöhen. Doch vor allem junge Menschen scheinen sich nicht mehr einschüchtern lassen zu wollen. Schüler, Auszubildende, Studierende: die, die mit Erdoğan und seinem immer autokratischer werdenden System aufgewachsen sind, begehren jetzt auf, kämpfen für die Chance auf eine demokratische Zukunft. Und auch in der Kulturszene, sind es vor allem die Jungen, die ihre Stimme erheben und damit ihre Karriere und ihre Freiheit riskieren - so auch der Musiker Don Arte.
Umut, alias Don Arte, ist 25 Jahre alt. Die Bilder des Protests inspirieren den Studenten zu seinem Song "Geri Ver". „Du hast die Genetik (DNA) meiner Heimat zerstört. / Du hast 20 Jahre lang meine Jugend geraubt. / Gib sie zurück! Das kannst du aber nicht. / Du kannst nicht zurückgeben, was du genommen hast“, singt er darin. Auch der Nachwuchsmusiker geht Mitte März nach der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu auf die Straße.
Ein Land im Klima der Angst
"Als ich das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstrierende gesehen habe", erzählt Don Arte, "kamen sehr viele Emotionen in mir hoch, die ich irgendwie ausdrücken musste. Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. Ich ging ins Studio, schrieb das Lied und produzierte es direkt. Und dann hab ich mich erst mal hingesetzt und überlegt: Soll ich das jetzt wirklich veröffentlichen? Ich hatte natürlich etwas Angst." Denn der Staat geht nicht nur gegen Demonstranten vor - auch gegen Journalisten und Künstler, eben gegen diejenigen, die die Kritik in die Welt tragen. "In unserem Land herrscht schon seit langem ein Klima der Angst", so der Musiker weiter. "Unter uns Künstlern und in der gesamten Gesellschaft haben die Menschen Angst ihre Meinung und selbst ihre Gefühle frei zu äußern."

Kurz nach Beginn der Proteste trifft das auch eine junge türkische Schauspielerin: Aybüke Pusat spielt in einer Serie des öffentlich-rechtlichen Kanals TRT. Als sie auf Instagram einen Boykottaufruf der Opposition gegen regierungsnahe Geschäfte teilt, wird sie aus der Serie geworfen. Ihn trifft es noch härter: Schauspieler Cem Yiğit Üzümoglu, bekannt aus der Netflixserie „Rise of Empires: Ottoman“ wird sogar verhaftet, auch er hatte den Boykott-Aufruf geteilt. Mittlerweile ist er frei, hat aber eine Ausreisesperre - es wird weiter gegen den 31-Jährigen ermittelt.
Aufbegeheren gegen Zensur und Unterdrückung
Auch Don Arte macht sich Sorgen, ob sein Musikvideo für ihn zum Problem werden könnte. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er öffentlich seine Stimme erhebt - etwas, das er mit vielen aus seiner Generation teilt. "Normalerweise bin ich kein Künstler, der explizit politische Texte schreibt. Ich mache Gute-Laune-Musik oder Liebeslieder. Aber jetzt wäre es absurd gewesen, einen normalen Song zu veröffentlichen, wenn sich mein Land in so einem Zustand befindet. Das wäre wie ignorieren, so als würde ich so tun, als wäre alles in Ordnung. Aber nichts ist in Ordnung."

Mehrmals wöchentlich organisieren Studierende nun Proteste, in Ankara oder Izmir, aber vor allem in Istanbul, auch im Stadtteil Kadiköy, eine Hochburg der linken Opposition. Tausende Studierende sind zusammen gekommen, mehrere Bands sollen auftreten. "Wir werden niemals zulassen, dass auch noch die Kunst unterdrückt wird", sagt einer der Studenten. "Wir alle hier sind kluge junge Menschen mit viel Talent. Und wir sind hier, um für unser Land einzutreten - wir wollen nicht ins Ausland auswandern müssen."
Mit Mut das Schweigen durchbrechen
Die Musik- und Kunstszene im Land hält sich bisher vergleichsweise zurück. Die Angst, keine Konzerte mehr spielen zu dürfen oder nicht mehr im Fernsehen auftreten zu können, scheint vor allem etablierte Künstler zu lähmen. Die jungen hingegen lassen ihrer Wut freien Lauf. Eine der Nachwuchsmusikerinnen fordert: "Wir müssen als zukünftige Musiker dafür einstehen - und ich rufe alle Künstler dazu auf, sich uns anzuschließen. Wenn einer von uns schweigt, wenn du schweigst - und ich schweige, wer wird dann sprechen?"

Aus diesem Grund hat auch Don Arte sein Lied veröffentlicht. Hunderte Nachrichten hätten ihn seitdem erreicht, von Wissenschaftlern, Autoren oder anderen Studierenden. "Solange wir keine Angst haben", sagt er, "solange wir mutig sind und das tun, von dem wir wissen, dass es das Richtige ist, glaube ich fest daran, dass wir das alles hier überwinden und eine viele bessere Türkei aufbauen können." Ihr könnt uns unsere Jugend nicht zurückgeben, heißt es in Don Artes Song "Geri Ver". Die Zukunft aber, so glaubt er, habe seine Generation noch in der Hand.
(Beitrag: Katharina Willinger)
Stand: 14.04.2025 10:36 Uhr
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