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Expressionismus-Hotspot Chemnitz: Karl Schmidt-Rottluff-Haus

Auf den Spuren des "Brücke"-Mitbegründers in seiner Geburtsstadt

Expressionismus-Hotspot Chemnitz: Karl Schmidt-Rottluff-Haus | Video verfügbar bis 19.01.2026 | Bild: ttt

"Arbeit! Rausch! Gehirnerschütterung. Pinselhiebe mitten durch die Leinwand. Auf Farbtuben trampeln" – so beschrieb Schmidt-Rottluffs Weggefährte Max Pechstein, geboren in Zwickau, den deutschen Expressionismus. Der brach mit den ästhetischen Vorstellungen seiner Zeit: radikal, mit Farbflächen, stilisierten Formen. Wenige haben das so kompromisslos umgesetzt wie Karl Schmidt-Rottluff.

Chemnitz entdeckt Schmidt-Rottluff neu

Florence Thurmes, Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz im ttt-Gespräch
Florence Thurmes, Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz im ttt-Gespräch | Bild: ttt

Warum der Künstler für die Kulturhauptstadt Europas 2025 so wichtig ist, beschreibt Florence Thurmes, die Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz, so: "Wie sein Name sagt, wurde er in Rottluff, heute ein Stadtteil von Chemnitz, geboren. Er ist hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, er hat auch schon Erich Heckel hier getroffen, mit dem er später, 1905, auch die Künstlervereinigung 'Brücke' gründen wird in Dresden. Und wir sagen eben, dass der Expressionismus quasi hier in Chemnitz gestartet ist."

Besonders Schmidt-Rottluffs Umgang mit der Farbe, das leuchtende Blau und Gelb, machten sein Werk unverkennbar, erläutert Thurmes weiter. Das unterscheide ihn vielleicht auch von anderen Expressionisten: "Es ist wirklich diese Suche danach, das Bild über die Farbe zu komponieren."

Geboren als Sohn eines Mühlenbesitzers im "Manchester Deutschlands"

In einer Mühle ist der Künstler aufgewachsen, die wurde nun saniert.
In einer Mühle ist der Künstler aufgewachsen, die wurde nun saniert. | Bild: ttt

"Der Rhythmus, das Rauschen der Farben, ist das, was mich immer bannte", schrieb Schmidt Rottluff über sich und seine Kunst. Als er 1884 in Rottluff als Sohn eines Mühlenbesitzers geboren wird, gilt Chemnitz als das "Manchester Deutschlands". Politische, soziale und kulturelle Umwälzungen bestimmen das Leben – und die Kunst jener Zeit.

Schmidt-Rottluff will die Kunst neu definieren und gründet 1905 u.a. mit Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel in Dresden die Künstlergemeinschaft "Brücke".

Befreiter Blick: Künstlervereinigung "Die Brücke" entsteht 1905

Kuratorin Sabine Schmidt im ttt-Gespräch
Kuratorin Sabine Schmidt im ttt-Gespräch | Bild: ttt

Was die Expressionisten beflügelt, erklärt die Kuratorin der Kunstsammlungen Chemnitz, Sabine Schmidt: "Es ist so, dass sich die Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts völlig neu orientiert haben. Gerade nach Deutschland kamen sehr viele Strömungen aus Belgien, aus Frankreich, die Fauves … Künstler, die plötzlich alle das Malerische ganz neu definierten."

Und das lag auch an einer Medien-Revolution, der Fotografie. Die ist vorrangig schwarz-weiß, wird aber als große Konkurrenz für die Malerei betrachtet, zugleich wirkt sie befreiend, wie Schmidt weiter erläutert: "So kann sich die Malerei lösen von den tatsächlichen Farbwerten, die einst so wichtig waren, um realistische oder gegenstandsrealistische Dinge ins Bild zu bringen."

Neue Bildwelt unter dem Eindruck des Krieges

Unter dem Eindruck des Krieges entsteht die legendäre Christus-Mappe.
Unter dem Eindruck des Krieges entsteht die legendäre Christus-Mappe. | Bild: ttt

Den Ersten Weltkrieg erlebt Schmidt-Rottluff an der Ostfront. Als er vom Schlachtfeld zurückkehrt, sind erst einmal die Farben aus seinen Bildern verschwunden. Stattdessen arbeitet er an Holzschnitten mit religiösen Symbolen.

Schmidt weist hin auf markante neue Schlüsselwerke, die entstehen: "Diese legendäre Christus-Mappe, die keine klare ikonografische Folge mehr war, sondern bestimmte Themen aufgearbeitet hat." Zum Beispiel die extremen und existenziellen Erfahrungen im Krieg. Mit diesen sehr markanten Bildern sei die Entscheidung einher gegangen, die Kunst voranzutreiben.

In den 1920er-Jahren knüpft Schmidt-Rottluff wieder an seine Malerei an. Museen zeigen seine Werke und kaufen sie an.

Vor allem in seiner Heimatstadt Chemnitz.

Als "entartet" und "Formalist" verfemt

Karl Schmidt-Rottluff im Selbstporträt
Karl Schmidt-Rottluff im Selbstporträt | Bild: Kunstsammlungen Chemnitz, VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Mit dem aufkommenden Faschismus verändert sich das Leben von Karl Schmidt-Rottluff. In der Propagandaschau "Entartete Kunst" von 1937 werden Werke von ihm gezeigt und 608 Arbeiten aus deutschen Museen beschlagnahmt. 1941 erhält Schmidt-Rottluff Malverbot. Er zieht sich in die innere Emigration zurück. 1944 entsteht heimlich ein berühmtes Selbstbildnis.

Nach dem Ende der Nazi-Diktatur darf er endlich wieder malen. Die erste Ausstellung richtet seine Geburtsstadt Chemnitz aus.

Doch im Osten Deutschlands sieht er sich bald als Formalist geschmäht.

Im Westen findet er neuerlich Anerkennung, sind seine Werke von der Documenta bis zur Kunstbiennale in Venedig zu sehen.

Neues Museumsdomizil ab Frühjahr 2025 zu entdecken

Und Chemnitz? In Chemnitz wird im Frühjahr für Schmidt-Rottluff ein eigenes Museumsdomizil eröffnet, im restaurierten Elternhaus an der Mühle. 

Später lebte die Familie in diesem Haus in Rottluff, dort soll eine Begegnungsstätte entstehen.
Später lebte die Familie in diesem Haus in Rottluff, dort soll eine Begegnungsstätte entstehen. | Bild: ttt

Als sogenannte Interventionsfläche der Kulturhauptstadt wird das Areal bis zum Frühjahr 2025 eine weitere wichtige Adresse für Kunstinteressierte. Zu sehen sein werden dort kunsthandwerkliche Objekte, sein Frühwerk, bislang kaum gesehene Ölskizzen und auch Gegenstände aus dem persönlichen Besitz, sagt Kuratorin Sabine Schmidt und hebt hervor: "Wir werden die Geschichte anders erzählen können – vielleicht nicht von den Hauptgemälden her, die bleiben ja weiterhin bei uns am Theaterplatz – aber von bestimmten Objekten."

Autorin TV-Beitrag: Anna Neuhaus

Stand: 20.01.2025 11:46 Uhr

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Mitteldeutscher Rundfunk
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